Transport und Logistik: Für die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft fordern Experten Standards

Die Wiederverwendung von Rohstoffen, Verpackungen und Ladehilfen ist aus Sicht der für eine Studie von Horváth befragten Branchenexperten neben dem Einsatz von E- und Schienenfahrzeugen ein weiterer großer Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Die Heterogenität von Produkten und Prozessen erschwert die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft insgesamt, ergab die Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie“ der Managementberatung Horváth. (Bild: AdobeStock, j-mel)
Die Heterogenität von Produkten und Prozessen erschwert die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft insgesamt, ergab die Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie“ der Managementberatung Horváth. (Bild: AdobeStock, j-mel)
Gunnar Knüpffer

Zu den größten Hürden auf dem Weg zur klimaneutralen Logistik gehören unter anderem die nach wie vor eingeschränkte Reichweite von Transportfahrzeugen mit alternativen Antrieben und die nicht ausreichende Ladeinfrastruktur. Klimafreundliche Kraftstoffe sind ebenfalls Mangelware oder teuer, was gerade in der margenarmen Logistik ein Problem ist. Hinzu kommt die lange Lebensdauer großer, teurer Transportfahrzeuge. Das sind einzelne Ergebnisse der Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie der Managementberatung Horváth, die am 14. März veröffentlicht wurde. Für die Studie wurden über 25 Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft in persönlichen Interviews zu den wichtigsten Branchentrends befragt, darunter Topführungskräfte und Strategen großer Logistik- und Transportunternehmen wie DB Cargo, DB Schenker, DPD, Hapag-Lloyd, Hermes, Lufthansa Cargo und Post CH. Die Befragungen wurden im Dezember 2022 abgeschlossen.

„Es rechnet sich in vielen Fällen einfach noch nicht, konventionell betriebene Fahrzeuge, die sich noch nicht amortisiert haben, vorzeitig abzustoßen“, sagt Christian Schnöbel, Logistikexperte bei der Managementberatung Horváth. „Die Dekarbonisierung in der Logistik- und Transportindustrie hat neben dem CO2-freien Transport jedoch noch wichtige weitere Dimensionen, in denen die Branche in den kommenden Jahren große Fortschritte machen wird. Wie unsere Studie zeigt, wird beispielsweise mit Hochdruck an der Etablierung von Kreislaufwirtschaften und regionalen Handelsströmen gearbeitet.“

Die Wiederverwendung von Rohstoffen, Verpackungen und Ladehilfen ist aus Sicht der für die Horváth-Studie befragten Branchenexperten neben dem Einsatz von E- und Schienenfahrzeugen ein weiterer großer Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität. Mehr als zwei Drittel der Befragten messen ihr große Bedeutung zu.

„Während sich die Kreislaufwirtschaft, beispielsweise die Rückführung von Verpackungen, im B2B-Segment relativ einfach durchsetzen lässt, ist das im Konsumentenmarkt schwieriger. Gründe sind stark individualisierte Verpackungen, sowie die Vielzahl an Anbietern“, sagt Horváth-Experte Schnöbel.

Die Heterogenität von Produkten und Prozessen erschwert die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft auch insgesamt. Aus Sicht der befragten Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft ist es daher dringend notwendig, neue Standards und Normungen festzulegen. Drei Viertel der Interviewten sehen diese Notwendigkeit.

Die Kreislaufwirtschaft wird als ein ESG-Kriterium wichtiger

„Die Festlegung von Standards kann durch Industrieverbände, kooperierende Transport- und Logistikunternehmen oder staatliche Einrichtungen erfolgen. Die Hauptsache ist, dass Marktteilnehmer die Initiative ergreifen“, meint Schnöbel. „Die Dimension Kreislaufwirtschaft beziehungsweise Circular Economy wird nicht zuletzt für Investoren und Kapitalgeber als ESG-Kriterium immer wichtiger, was die Unternehmen unter Zugzwang setzt“, ist sich der Horváth-Experte sicher.

Eng mit dem Thema Kreislaufwirtschaft ist auch die Regionalisierung von Handelsströmen verbunden, die die Mehrzahl der Studienteilnehmer als anhaltend wichtigen Trend sieht. Aufgrund von krisenbedingten Lieferengpässen und Lieferkettenstörungen haben die Unternehmen ihre Beschaffungs- und Absatzwege wieder stärker regionalisiert. Re- und Nearshoring, erhöhte Lagerbestände sowie eine diversifizierte Beschaffung werden in diesem Zusammenhang als wichtige Anpassungen genannt. Neben der dadurch erzielten sogenannten Resilienz ergeben sich auch Nachhaltigkeitsvorteile durch kürzere Transportwege und höhere Transparenz aufgrund insgesamt stärkerer Überwachung. 

Die letzte Meile in den Innenstädten wird sich nach Ansicht der befragten Branchenexperten spürbar weiter verteuern.

„Die letzte Meile macht über drei Viertel der gesamten Transportkosten der Logistikanbieter aus. Über 90 Prozent der letzten Meile sind Personalkosten, und die steigen unter anderem durch die Inflation deutlich an. Doch auch die Betriebs- und Bereitschaftskosten schnellen aufgrund von immer strengeren regulatorischen Vorgaben in die Höhe“, berichtet Logistikexperte Christian Schnöbel von Horváth.

Dazu gehören verkehrsbezogene Nachhaltigkeitsziele, Immissionsschutz, Straßen- beziehungsweise baurechtliche Vorgaben, technische Vorgaben sowie Datenschutz- und Haftungsregelungen. Dass diese Vorgaben auch noch regional unterschiedlich sind, erschwert laut der Beratung standardisierte Lösungen und verteuert die Prozesse zusätzlich. Zur Kostenreduktion gibt es verschiedene Stellschrauben, unter anderem die Zustellung mehrerer Pakete an einem Punkt, eine Tour-Verdichtung durch verbesserte Routenplanung oder eine optimierte Sendungsübergabe. Grundsätzlich bedarf es aus Sicht der Befragten aber innovativer und umweltfreundlicher Lösungen für die gesamte innerstädtische Logistik – also Konzepte, die Schienenverkehr, Pakethubs (zum Beispiel in Parkhäusern), Lastenfahrräder, Zustellroboter und auch Drohnen einschließen. Dabei wird Start-ups als von Investoren geförderten Impulsgebern eine wichtige Rolle zugemessen.

„Reines Reagieren auf neue Regulierungen bringt die urbane Logistik nicht voran, die Unternehmen müssen ihre Transformation aktiv gestalten“, meint Schnöbel.