Studie: 2025 haben Lkw-Flotten zu 50 Prozent alternative Antriebe

60 Prozent der Flottenverantwortlichen wollen in drei Jahren Lkw kaufen, die mit Strom oder Wasserstoff fahren oder zumindest hybrid sind, ergab eine Studie von Bain & Company. Deshalb müssten Lkw-Hersteller ihre Produktion umstellen und auf neue Geschäftsmodelle setzen.

Laut einer Studie von Bain & Company könnten die Lkw-Flotten im mehreren europäischen Ländern ab 2025 bereits zu 50 Prozent alternative Antriebe haben. (Bild: AdobeStock, Elnur)
Laut einer Studie von Bain & Company könnten die Lkw-Flotten im mehreren europäischen Ländern ab 2025 bereits zu 50 Prozent alternative Antriebe haben. (Bild: AdobeStock, Elnur)
Redaktion (allg.)
(erschienen bei Transport von Christine Harttmann)

Die ersten Diesel-Lkw standen 1924 auf der IAA. Ab 2024 könnten sie in Europa allmählich wieder aus dem Straßenbild verschwinden und Trucks mit alternativem Antrieb Platz machen. Die Studie „European Truck Market Outlook 2022“ der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company, die am 5. März veröffentlicht wurde, legt diese Entwicklung nahe. Die Autoren befragten 565 Flottenverantwortliche in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Von rund 60 Prozent erhielten sie die Antwort, dass sie in drei Jahren Lkw kaufen würden, die mit Strom oder Wasserstoff fahren oder zumindest hybrid sind. Der Studie zufolge reichen die Ambitionen reichen noch weiter: Sie könnten sogar die Kapazitäten der Hersteller übersteigen. Schon 2025 soll demnach nahezu die Hälfte der Flotten der Befragten aus Trucks mit alternativen Antrieben bestehen. Entsprechend groß sei der Handlungsdruck für die Lkw-Produzenten, teilt Bain & Company mit. Diese müssten gleich an mehreren Stellschrauben drehen, um den Wandel erfolgreich zu bewältigen.

Europäische Truck-Hersteller haben komfortable Ausgangslage

Die Branche stehe vor ihrem größten Umbruch seit 100 Jahren, betont Dr. Eric Zayer, Bain-Partner und Co-Autor der Studie: „Immerhin aber ist die Ausgangslage der europäischen Truck-Hersteller komfortabel.“

Die messbare Kundenloyalität habe sich gegenüber vergleichbaren Studie aus dem Jahr 2018 deutlich erhöht, so Zayer.

„Die Lkw-Produzenten ernten nun die Früchte ihrer intensiven Bemühungen, die Gesamtbetriebskosten ihrer Fahrzeuge zu senken, deren Zuverlässigkeit zu erhöhen und den Vertrieb noch gezielter auf die Kundenbedürfnisse auszurichten.“

Auf ihrem Erfolg ausruhen dürfen sich die Hersteller jedoch nicht. Alternative Antriebsformen rücken zunehmend in den Fokus von Flottenbesitzern und -betreibern. So denken nur noch 30 Prozent der Befragten darüber nach, in drei Jahren einen Lkw mit klassischem Dieselmotor anzuschaffen. In Deutschland sind es 28 Prozent – nach 50 Prozent im Jahr 2018.

Dr. Jörg Gnamm, ebenfalls Bain-Partner und Co-Autor der Studie, sieht den Diesel als Auslaufmodell, da sein CO2-Ausstoß die Klimabilanz der Kundschaft belaste. „Damit endet für Lkw-Hersteller auch die Pilotphase für neue Antriebskonzepte.“

Wer in puncto E- und Wasserstofffahrzeugen nicht bald über eine umfassende Modellpalette verfüge, müsse sich darauf einstellen, Marktanteile zu verlieren, warnt Gnamm.

Reichweite muss stimmen

Die veränderte Nachfrage stellt Lkw-Hersteller auch im Verkaufsprozess vor neue Herausforderungen. Noch sind die Gesamtbetriebskosten eines Lkw das wichtigste Entscheidungskriterium der Kundschaft, gefolgt von Zuverlässigkeit und Service. Doch im zukunftsträchtigen Geschäft mit alternativen Antrieben wandelt sich das Bild. Hier interessieren sich die Flottenverantwortlichen zuvorderst für die Reichweite des Fahrzeugs, dahinter rangieren Leistung, Effizienz und Zuverlässigkeit. Allerdings haben viele der im Rahmen der Studie Befragten noch Zweifel, ob sich die Fracht mit einem elektrischen Antrieb allein termingerecht transportieren lässt. Daher würden sie sich Stand heute eher für ein Hybridfahrzeug entscheiden.

Für Marktkenner Gnamm ist dies indes lediglich ein Zwischenschritt: „Auf Dauer werden sich Elektro- und Wasserstofffahrzeuge durchsetzen.“

Auch scheuen zahlreiche Flottenverantwortliche noch die Anschaffungskosten. Diesen Bedenken könnten Hersteller mit Abomodellen oder Pay-per-Use-Konzepten begegnen. Bei solchen Angeboten würden sich 42 Prozent der Befragten leichter tun, sich für einen Truck mit alternativem Antrieb zu entscheiden. Schon die Studie im Jahr 2018 hatte gezeigt, dass der Besitz von Fahrzeugen bei der Lkw-Kundschaft an Bedeutung verliert.

Lkw-Hersteller müssen Angebot intelligent vermarkten

Angesichts der veränderten Kundenwünsche geraten die Lkw-Bauer in Zugzwang. Sie müssen ihre Modellpalette um neue Antriebe erweitern und zugleich ihre Geschäftsmodelle grundlegend überarbeiten. Bain hat fünf Stellhebel identifiziert, die für eine erfolgreiche Transformation entscheidend sind:

  • Schneller Ausbau alternativer Antriebe. Zur Umstellung der Flotten könnte es aus Sicht der Befragten bereits in der ersten Hälfte dieser Dekade kommen – und damit früher als erwartet. Je eher alternative Antriebe daher in Serie gehen, desto größer sind die Chancen der Lkw-Hersteller, sich im Wettbewerb zu behaupten. Parallel dazu sollten Truck-Produzenten intensiv mit ihrer Kundschaft kommunizieren, bestehende Bedenken aufgreifen und diese ausräumen, indem sie umfassend über die Reichweiten sowie die Zuverlässigkeit der neuen Antriebsformen informieren. Vorreiter verschaffen sich darüber hinaus frühzeitig Zugriff auf eine funktionierende Ladeinfrastruktur.
     
  • Verstärkter Fokus auf Zuverlässigkeit. Ob Diesel- oder Elektro-Lkw, ob Kauf oder Abo: Für die Kundschaft bleibt die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge ein wichtiger Faktor. Wer zudem im Service punktet, wird mit anhaltender Loyalität belohnt. In Deutschland wollen 43 Prozent der im Rahmen der Studie Befragten angesichts der zunehmenden technischen Komplexität der Lkw ihren Inhouse-Service reduzieren.
     
  • Erweiterung des Omnikanals. Die Kundschaft erwartet mittlerweile einen kanalübergreifenden Angebotsprozess, der von der ersten Kontaktaufnahme bis hin zur Terminvereinbarung im Service reicht. Je effizienter dieser ist, desto mehr ist es den Herstellern möglich, ihren Vertrieb zu optimieren und gleichzeitig zu verschlanken.
     
  • Entwicklung neuer Eigentümerkonzepte. Um dem Flottenmanagement den Umstieg auf alternative Antriebe zu erleichtern, sollten die Truck-Produzenten verstärkt Abomodelle, Pay-per-Use-Konzepte und Mietkäufe anbieten. Die Experimentierphase ist auch hier vorbei.
     
  • Professionelles Aftersales-Management. Schnelle, zuverlässige Aftersales-Dienstleistungen sorgen für hohe Kundenzufriedenheit und schaffen Anreize für Folgekäufe. So wären 59 Prozent der deutschen Flottenverantwortlichen an Verträgen interessiert, die für einen monatlichen Fixpreis sämtliche Leistungen, beispielsweise Wartung oder Austausch von Verschleißteilen, abdecken.

Bain-Partner Karl Strempel stellt fest: „Die Lkw-Branche steht vor einer Mammutaufgabe. Sie muss sich binnen weniger Jahre in weiten Teilen ihrer Wertschöpfungskette neu erfinden.“

Je zügiger die Transformation gelinge, desto besser seien die mittel- und langfristigen Perspektiven. Der langjährige Marktbeobachter ist überzeugt:

„Anbieter, die jetzt agieren und klimaschonende Trucks mit innovativen Eigentümerkonzepten intelligent vermarkten, werden zu den Gewinnern der nächsten Jahre gehören.“