SCM: Handelsströme verlagern sich weg von China

Die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU erleben laut Daten von Project44 hingegen eine Revitalisierung.

Quo vadis, Welthandel? (Symbolbild: Kamonrat / Fotolia)
Quo vadis, Welthandel? (Symbolbild: Kamonrat / Fotolia)
Therese Meitinger

Die weltweiten Handelsströme in der Post-COVID-Ära sind dabei sich zu verschieben. Zu diesem Ergebnis kommt der US-amerikanische IT-Anbieter Project44 bei der Auswertung der Daten seiner Plattform, wie er am 2. Dezember berichtete. Speziell die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU erleben demnach eine Wiederbelebung, während viele Unternehmen versuchen, einseitige Abhängigkeiten vom Standort China zu minimieren. Die Ergebnisse im Detail;

Handel zwischen der EU und den USA nimmt zu

Bei der Debatte um die Auswirkungen der COVID-Pandemie auf die Handelsströme lag der Schwerpunkt häufig auf dem Handel mit Asien. Das untenstehende Chart, das den Handel zwischen Europa und den USA in Form von TEU-Schiffskapazitäten zeigt, weist nach Ansicht von Project44 jedoch auf eine der möglicherweise überraschendsten und sicherlich bedeutendsten Entwicklungen seit Anfang 2020 hin. Dieser starke Anstieg lasse sich nicht allein mit der Pandemie erklären, so der IT-Anbieter; vielmehr seien eine strategische Abkehr von der übermäßigen Abhängigkeit vom Handel mit China und die geopolitischen Spannungen mit Russland die wichtigsten Triebkräfte für den Boom im Handel zwischen der EU und den USA.

Die europäische Industrie konzentriert sich wieder auf die USA

Die Landkarte des Welthandels wird laut dem Bericht derzeit rasant neu gezeichnet. Der Handel zwischen der EU und den USA und die Investitionen in den USA nehmen den Project44-Daten zufolge stark zu, da die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Westen und China kritisch hinterfragt werden. In diesem Jahr hätten die USA mehr Waren aus Europa als aus China importiert, heißt es, - eine große Veränderung gegenüber den 2010er Jahren. Die europäischen Hersteller, die mit stark steigenden Energiepreisen und Inflation zu kämpfen haben, exportieren laut Project44 ihrerseits zunehmend in die USA und investieren dort.

Die deutschen Exporte in die USA sind im September im Jahresvergleich um fast 50 Prozent gestiegen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres steigerte der deutsche Maschinenbausektor seine Exporte in die USA um fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Kleine und mittlere deutsche Unternehmen, der weltberühmte Mittelstand des Landes, haben ihre Investitionen aufgrund des zunehmenden inländischen Wettbewerbs, steigender Arbeitskosten und der COVID-Lockdowns von China weg diversifiziert.

Die europäischen Direktinvestitionen in den USA beliefen sich im Jahr 2021 auf fast 3,2 Billionen Dollar, 13,5 Prozent mehr als im Vorjahr, so Project44. Eine Folge dieses Booms im transatlantischen Handel sei in den letzten Monaten ein sprunghafter Anstieg des Containerumschlags in den Häfen der US-Ostküste gewesen, heißt es. Der Hafen von New York und New Jersey zum Beispiel war laut Porjecz44 im September den zweiten Monat in Folge der verkehrsreichste US-Containerhafen und schlug 35 Prozent mehr Fracht um als im September 2019.

Transpazifischer Handel im Sinkflug

Nachdem das Handelsvolumen aus China in die USA während der Pandemie-bedingten Lockdowns rekordverdächtige Werte erreicht hatte, ist es seit Ende des Sommers 2022 rasch zurückgegangen. Project44 verzeichnete zwischen August und November einen Rückgang des TEU-Gesamtvolumens der Schiffe um 21 Prozent.

Die großen Häfen an der Westküste, Los Angeles und Long Beach, verzeichneten den stärksten Rückgang, da die Verlader einen Teil ihrer Sendungen an die Ostküste umleiteten, um das Risiko eines größeren Gewerkschaftsstreiks in den Häfen der Westküste zu vermeiden. Die Verhandlungen zwischen der International Longshore and Warehouse Union (ILWU), die mehr als 22.000 Hafenarbeiter an der Westküste vertritt, und der Pacific Maritime Association (PMA), die Reedereien und Hafenterminals repräsentiert, laufen seit dem 10. Mai 2022.

Ausblick

Einem Artikel von The Economist vom 26. November zufolge überlegen multinationale Unternehmen, ob sie ihr Engagement in China aufgeben, verlagern oder verstärken sollen, das heißt ob sie sich bei der Produktion weniger auf China verlassen, ihre chinesischen Aktivitäten zurückfahren oder ihre Investitionen in China aufstocken sollen.

Welche dieser Strategien sich am stärksten auf die Handelsströme nach und aus China auswirken wird, bleibe abzuwarten, argumentiert Project44. Doch angesichts des „Inflation Reduction Act“ von US-Präsident Biden, der Steueranreize und Subventionen für umweltfreundliche US-Unternehmen vorsieht, sind die Vorhersagen möglicherweise zuverlässiger. Wenn die Subventionen fortgesetzt werden, dürften viele europäische Hersteller dem Beispiel des deutschen Chemiekonzerns Lanxess oder des spanischen Energieriesen Iberdrola folgen und ihre künftigen Investitionen auf die USA konzentrieren, vermutet der IT-Anbieter. Langfristig könnten sich demnach solche Zuschüsse jedoch durchaus negativ auf die EU-Exporte in die USA auswirken.