SCM: Darauf kommt es bei Ad-hoc-Lieferketten an

Eine Studie untersucht, mithilfe welcher Faktoren Unternehmen in der Coronakrise ihre Produktion kurzfristig umstellen konnten.

Was lässt sich aus den Erfahrungen der Unternehmen lernen, die in der Krise kurzfristig Masken oder Desinfektionsmittel herstellten. (Illustration: Kühne Logistics University)
Was lässt sich aus den Erfahrungen der Unternehmen lernen, die in der Krise kurzfristig Masken oder Desinfektionsmittel herstellten. (Illustration: Kühne Logistics University)
Therese Meitinger

In einer groß angelegten Studie nehmen Forscher der Hamburger Kühne Logistics University (KLU) Ad-hoc-Lieferketten in den Fokus, die Unternehmen im Zuge der Coronakrise kurzfristig aufgebaut haben. Sie beziehen sich in der am 6. Juli veröffentlichten Untersuchung auf die SCM-Aktivitäten von Unternehmen, die angesichts von Engpässen in der Versorgung mit medizinischen Produkten spontan entschieden, Masken oder Desinfektionsmittel lokal herzustellen. Was motivierte die Unternehmen zum Aufbau solcher Ad-hoc-Lieferketten? Wo lagen Herausforderungen und was unterstützte sie? Dazu führten Forscherinnen und Forscher der Kühne Logistics University Interviews mit Mitgliedern der Geschäftsführungen, Vorstände und Produktionsleitungen in rund 40 Unternehmen.

„Mit bisher unvorstellbarer Geschwindigkeit und Agilität gelang es Textilherstellern, Chemieunternehmen und Automobilzulieferern, neue Lieferketten aus dem Boden zu stampfen. Sie sicherten sich in Rekordzeit Rohmaterialien, identifizierten neue Partner und passten ihre Produktionsprozesse an –  und dies alles unter den herausfordernden Bedingungen im Corona-Lockdown“, fasst Prof. Dr. Kai Hoberg zusammen.

Man habe wissen wollen, wie dies innerhalb von Wochen gelingen konnte und was man daraus für das normale Business lernen könne. Die Interviews hätten die zentrale Rolle der Motivation unterstrichen: Entscheidende Faktoren waren nach KLU-Angaben die soziale Verantwortung der Unternehmen, andererseits massiver Druck, finanzielle Verluste im Kerngeschäft auszugleichen und Mitarbeitende zu halten.

Pragmatische Lösungen statt Standardprozessen

Möglich wurde der Produktionsumbau der Studie zufolge durch pragmatische Lösungen. So umgingen viele Unternehmen ihre Standardprozesse mit Testphasen und Zertifikaten, um Zeit zu sparen. „Auch große Unternehmen planten Produktion und neue Lieferketten teilweise nicht wie gewohnt in SAP, sondern in Excel“, berichtet KLU-Doktorandin Jasmina Müller.

Zudem wurden Ressourcen nach Studienangaben vor Ort kreativ genutzt: Textilunternehmen verarbeiteten beispielsweise vorhandene Stoffe zu Mund-Nasen-Masken. Chauffeure der Vorstände nutzten Ihre Arbeitszeit, um Desinfektionsmittel auszuliefern. Neu war der KLU zufolge auch der regionale Fokus für Beschaffung und Kooperation aufgrund geschlossener Grenzen: „Ein Unternehmen hat die Maschine gestellt, eines das Vlies und weitere haben die Masken genäht“, fasst Jasmina Müller zusammen. Nicht zuletzt sei die Bedeutung der direkten Kommunikation deutlich geworden, so die Studie.

„Hierarchien wurden umgangen, CEOs kontaktierten sich direkt statt über ihre Büros oder Fachpersonal. Und Kernteams waren teilweise rund um die Uhr miteinander im Austausch“, berichtet Jasmina Müller.

Eine wesentliche Herausforderung hat die Studie in Material-Engpässen ausgemacht, die sich etwa auf Filtervlies, Nasenclips für Masken sowie Flaschen zum Abfüllen von Desinfektionsmittel bezogen.   Zudem seien der Verlauf der Krise und damit die Nachfrage nicht kalkulierbar gewesen, erläutert Jasmina Müller. Und weiter: „Weil die Nachfrage unsicher war, änderte sich die Produktionsplanung täglich.“ Gleichzeitig seien Teamroutinen gebrochen worden. Viele Arbeitnehmende nahmen laut der Untersuchung hoch motiviert Überstunden in Kauf, während andere es schwierig fanden, außerhalb der gewohnten Prozesse zu arbeiten.

Die Interviewreihe wurde von Prof. Dr. Kai Hoberg, Prof. Dr. Jan Fransoo und KLU-Doktorandin Jasmina Müller gemeinsam konzipiert und durchgeführt. Für den Herbst ist eine zweite Interview-Welle geplant. Mit Abstand zur frühen Phase der Krise wird es dann darum gehen, wie sich das neue Geschäft entwickelt hat und was die Unternehmen für die Zukunft gelernt haben.