Risikomanagement: Wie umgehen mit Supply-Chain-Risiken aus dem Taiwan-Konflikt?

Ein Maßnahmenmix kann helfen, mögliche Lieferkettenrisiken aus einer potenziellen Eskalation des Taiwan-Konflikts abzufedern.

Supply-Chain-Risiken ergeben sich bei einer möglichen Eskalation des Taiwan-Konflikts besonders im Bereich der Halbleiter, aber nicht nur. (Symbolbild: JYPIX / AdobeStock)
Supply-Chain-Risiken ergeben sich bei einer möglichen Eskalation des Taiwan-Konflikts besonders im Bereich der Halbleiter, aber nicht nur. (Symbolbild: JYPIX / AdobeStock)
Therese Meitinger

Die aktuellen geopolitischen Spannungen rund um die nach wie vor ungelöste Taiwan-Frage beunruhigen die Weltöffentlichkeit nach wie vor und befeuern Sorgen um eine militärische Konfrontation. Kein Wunder: Die Bedeutung der Insel für die Weltwirtschaft kann kaum überschätzt werden. Welche Rolle spielt Taiwan im globalen ökonomischen Geflecht, welchen Einfluss hat sie auf die Stärke der europäischen und damit auch deutschen Wirtschaft – und was lässt sich tun, um Disruptionen vorzubeugen?

Das Herz der Digitalisierung

Seit den 40er-Jahren hat die wirtschaftliche Entwicklung auf beiden Seiten der Taiwan-Straße ein mehr als beachtliches Wachstum erzielt. Noch zu Zeiten der japanischen Besetzung vor dem Zweiten Weltkrieg waren weite Teile Taiwans landwirtschaftlich geprägt, so galt die Insel etwa als das siebtgrößte Zuckerrohranbaugebiet der Welt. „Längst haben jedoch Halbleiter, High-Tech-Elektronik und Computer Waren wie Reis, Schweinefleisch oder Ananas von der Liste der wichtigsten Exportgüter verdrängt. Hochtechnologie von Taiwan findet außer in die Vereinigten Staaten vor allem ihren Weg nach Korea, Japan, Singapur und auf das chinesische Festland“, sagt William McNeil, AVP Product Marketing bei der Supply-Chain-Plattform e2open. Zusammengenommen weist die Außenhandelsbilanz dabei mit Exporten im Wert von 447 Milliarden US-Dollar, gegenüber Importen von 381 Milliarden US-Dollar, ein Plus von stattlichen 66 Milliarden US-Dollar auf (Stand 2021) – das entspricht zwei Prozent des gesamten Exportvolumens der Welt. Zudem verlaufen die wichtigsten Schifffahrtsrouten zwischen Ostasien und Europa in der Nähe der taiwanesischen Küste.

Eine kritische Rolle für den Rest der Welt spielen die Produktionskapazitäten auf Taiwan insbesondere in Bezug auf Halbleiter. 80 Prozent aller Halbleiter, die dem bestmöglichen Stand hinsichtlich Fertigungstechnologie entsprechen, stammen von dort, bei 60 Prozent des weltweiten Produktionsvolumens für alle Arten von Halbleitern. Namhafte Kunden wie Apple, Intel, AMD, nVidia oder auch Qualcomm beziehen somit den Löwenanteil des wichtigsten Bestandteils ihrer Computerchips von der Insel. „In anderen Worten: Stand jetzt herrscht ohne die Werke auf Taiwan in Sachen Digitalisierung weltweit faktisch Stillstand“, verdeutlicht William McNeil.

Kritische Risiken für die globalen Lieferketten

Während der Pandemie erhielt die Weltwirtschaft schon einen Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn Taiwan als Weltlieferant für Hochtechnologie ausfällt: Weltweit kam es zu einer Knappheit und damit einher gehend einer massiven Lieferverzögerung bei Computerchips. Erst seit diesem Jahr erholt sich die Branche wieder, doch die Angebotslage ist längst nicht wieder auf dem Niveau von vor der COVID-19-Pandemie. Noch vor gut einem Jahr hatte der CFO von Apple, Luca Maestri, im Earnings Call des Unternehmens die von COVID-19 verursachten finanziellen Einbußen für Apple, ausdrücklich inklusive des weltweiten Chipmangels, auf etwa 4-8 Milliarden US-Dollar beziffert.

Hinzu kommt: „Die gesamte Region ist nicht nur einer militärischen Eskalation als Risiko unterworfen. Die Insel Taiwan liegt in der Spannungszone mehrerer tektonischer Platten und ist damit von Erdbeben bedroht“, erläutert McNeil. 2020 etwa fiel die DRAM-Produktion des Herstellers Micron aufgrund eines solchen Ereignisses für eine Stunde aus – doch diese kurze Zeitspanne reichte aus, um die Preise für DRAM-Speicher rasant in die Höhe schießen zu lassen, da die Fabrik für 8,8 Prozent des globalen Produktionsvolumens verantwortlich war. Auch Taifune sorgen mit jährlicher Regelmäßigkeit für Schäden, die sich allein während der Saison 2021 auf insgesamt eine Milliarde US-Dollar bezifferten. Im selben Jahr beeinträchtigte außerdem eine starke Dürre die Insel und damit auch die auf eine stabile Wasserversorgung angewiesene Halbleiterproduktion.

Was tun?

Absolute Sicherheit kann es im Risikomanagement selbstverständlich nie geben, aber es existieren einige Mittel, die dafür sorgen, dass sich die Gefahren für das eigene Unternehmen minimieren lassen. Experte William McNeil von e2open empfiehlt:

  • Die eigene Lieferkette diversifizieren. Insbesondere in Bezug auf Halbleiter ist dies selbstverständlich keine einfache Aufgabe, doch die potenziellen Risiken sind im Ernstfall schlicht zu groß, um den reinen Versuch außer Acht zu lassen. In Europa wie den Vereinigten Staaten hat die Politik zwar bereits erste Schritte unternommen, um die Lage zu entschärfen, dennoch ist die Suche nach Alternativen in der Produktion ein absolutes Muss.
  • Mit Zulieferern kooperieren. Während der Pandemie haben zahlreiche Abnehmer von Halbleitern neue, langfristigere Verträge mit ihren Zulieferern abgeschlossen, die obendrein größere Lieferkontingente versprechen. Dies verbesserte die Nachschublage für Kunden und sorgte auch dafür, dass die Lieferanten ihre Waren zuverlässiger vertreiben konnten. Wer sich dagegen – wie viele Automobilhersteller – auf einen Preiskampf einließ, statt vom Just-in-Time-Prinzip abzukehren, hatte das Nachsehen.
  • Nachfrage mit Preisen und Optionen steuern. Im Ernstfall stehen verschiedene Taktiken zur Verfügung, um mit der eigenen Preisgestaltung und Verhandlungen den eigenen Nachschub zu sichern. Abnehmer können so etwa drohen, bei verspäteter Lieferung weniger zu zahlen – was das Risiko birgt, am Ende dennoch leer auszugehen. Andere Ansätze verfolgen dagegen die Anhebung der eigenen Qualitätsstandards bei der Güterannahme oder auch eine Preissenkung bei all jenen eigenen Produkten, die nicht aus der von einer Disruption betroffenen Region stammen beziehungsweise aus von dort gelieferten Teilen bestehen. Die teuerste, aber im Zweifel erfolgreichste Variante ist auch die einfachste – den Zulieferern Preiszuschläge anbieten.
  • Produkte flexibler designen. In anderen Worten: Wer komplexe Produkte weitgehend inhouse designt, statt der Konstellation der Supply Chain das Feld zu überlassen, ist bei Disruptionen besser aufgestellt. Beispiel Tesla: 2021 schlug sich der Autobauer weit geschickter als die Konkurrenz in der Chip-Krise. Da das Unternehmen seine Fahrzeuge und die dazugehörigen Einzelteile faktisch komplett selbst entwarf, ließ sich das Design sehr viel schneller den neuen Supply-Chain-Herausforderungen anpassen als bei der Konkurrenz, etwa mittels des Einsatzes von Chips, die nicht zwingend der neuesten Technologiegeneration angehörten und deren Produktionsvolumen deshalb noch deutlich größer war.