Nahost-Konflikt: Steigende Frachtraten treffen vor allem europäischen Asienhandel
Die anhaltenden geopolitischen Spannungen im Nahen Osten treiben die Frachtraten für Containerschiffe auf den höchsten Stand seit rund zwei Jahren. Und ein Ende dieser Preisentwicklung ist aktuell nicht in Sicht. Zu diesem Schluss kommt die jüngste Studie des Kreditversicherers Allianz Trade, so eine Pressemitteilung vom 19. Juli.
Nachdem die Frachtraten zu Jahresbeginn drei Monate in Folge wöchentlich gesunken waren, haben sie demnach seit Mai zu einem neuen Höhenflug angesetzt – und zwar auf den höchsten Stand seit August 2022. Durchschnittliche Frachtraten für einen Vierzigfuß-Container haben sich laut dem Kreditversicherer mit 5.901 US-Dollar (USD) seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt (+121 Prozent) und im Vergleich zum Vorjahr nahezu vervierfacht (+297 Prozent).
„Der Nahost-Konflikt und vor allem die Angriffe der Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer sind der wohl größte Preistreiber bei den Frachtraten“, sagt Maria Latorre, Branchenexpertin bei Allianz Trade. „Transitzeiten verlängern sich erheblich durch die Umwege der Schiffe um Afrika herum. Dadurch sind Lieferketten und -zeiten gestört, Häfen teilweise überlastet und Schiffe weit im Voraus ausgebucht.“
Auch die steigende Nachfrage und daraus resultierende zaghafte Erholung des Welthandels spiele eine Rolle bei den Transportkosten, so Latorre weiter. Diese machten allerdings nur rund 15 Prozent des Anstiegs aus und damit einen geringeren Anteil als die großen Unsicherheiten und Lieferkettenstörungen durch den Konflikt im Roten Meer.
Die Ölpreise allerdings, die 2022 der Haupttreiber der hohen Frachtraten waren, sind der Erhebung zufolge seit ihrem damaligen Höchststand deutlich gesunken und tragen nicht mehr zum Anstieg der Frachtkosten bei.
Europäische Unternehmen mit hoher Abhängigkeit von Asien verlieren
Die Entwicklung der Frachtraten ist laut dem Bericht regional sehr unterschiedlich: Die Raten von Europa in die USA (Rotterdam-New York) sind seit Jahresbeginn beispielsweise um lediglich 30 Prozent gestiegen. Die Raten von China nach Europa (Shanghai-Rotterdam) haben sich hingegen fast verfünffacht (+383 Prozent).
„Europäische Unternehmen sind – im Gegensatz zu ihren US-amerikanischen Wettbewerbern – wesentlich stärker vom Handel mit Asien abhängig und anfälliger für Störungen an wichtigen Engpässen wie dem Roten Meer“, sagt Latorre.
40 Prozent der EU-Einfuhren kommen ihr zufolge aus Asien und fast ein Viertel (22 Prozent) aus China. Vor der Pandemie waren es noch 16 Prozent. Die Abhängigkeit sei also weiter gestiegen und damit auch die Auswirkungen von derart stark steigenden Frachtraten auf die hiesigen Unternehmen, heißt es. Die erwartete Erholung bei den Gewinnmargen in der zweiten Jahreshälfte 2024 sei in einigen Branchen dadurch gefährdet.
Insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, bei Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen, Haushaltsgeräten, Elektronik und Bekleidung dürften sich laut Allianz Trade die Auswirkungen deutlich bemerkbar machen. „Viele europäische Unternehmen haben im vergangenen Jahr Lagerbestände abgebaut und machen sich nun Sorgen um die Sicherung ihrer Lieferungen für die zweite Jahreshälfte, wenn die Nachfrage voraussichtlich wieder anziehen wird – und das wichtige Weihnachtsgeschäft vor der Tür steht“, sagt Latorre.
Container-Reedereien mit guten Ertragsaussichten
Die Ertragsaussichten für die weltweiten Container-Reedereien haben sich in den vergangenen drei Monaten erheblich verbessert, so der Bericht. Zusammen mit dem Hotelgewerbe ist demnach die Schifffahrt der Sektor mit den höchsten Gewinnkorrekturen nach oben in diesem Jahr. Allerdings stehe sie auch vor hohem Investitionsbedarf, zum Beispiel zum Kauf von emissionsärmeren Schiffen. Auch die Unsicherheiten bleiben laut dem Kreditversicherer – nicht nur im Roten Meer, sondern beispielsweise auch durch den Klimawandel.
Starke Regenfälle und Stürme, die über Südafrika tobten, haben zuletzt einige Schiffe gezwungen, Schutz zu suchen oder sogar ihren Kurs zu ändern. Das dürfte den Druck auf den Schifffahrtssektor erhöhen und Verzögerungen weiter intensivieren, analysiert Allianz Trade.
Kein Ende in Sicht, solange der Nahost-Konflikt andauert
Ein Ende des Raten-Höhenflugs ist der Erhebung zufolge zunächst nicht in Sicht: „Solange die Spannungen im Nahen Osten und vor allem im Roten Meer andauern, werden die Schifffahrtskosten hoch bleiben – und mit ihnen die Erträge der Container-Reedereien“, sagt Latorre.
Vor zwei Jahren war die Situation eine andere: Damals stiegen auch die Bunker-Ölpreise stark an. Nun haben sich den Studienautoren zufolge die Ölpreise entspannt, aber die längeren Transportwege zur Umgehung des Suezkanals führen dazu, dass die Gesamtkosten für die Betankung hoch bleiben. Dennoch liegen die derzeit hohen Frachtraten über dem Break-even-Punkt der Reedereien.
Welthandel mit leichter Erholung
Der Welthandel dürfte laut den Studienautoren 2024 mit +3,6 Prozent beim Volumen die Einbußen aus dem Vorjahr (-0,7 Prozent) wettmachen und im zweiten Halbjahr anziehen.
Der internationale Handelsbilanz-Index zeigt bereits eine Zunahme der gehandelten Waren um zwei Prozent – und damit auch wieder über dem Niveau von vor der Pandemie. Besonders China belebt den Welthandel, wie Allianz Trade analysiert: Der chinesische Handelsüberschuss stieg trotz der geopolitischen Spannungen und der Zölle auf chinesische Exporte weiter an und erreichte im Juni mit 99 Milliarden US-Dollar ein noch nie dagewesenes Niveau.
Chinesische Exporte steigen an
Entgegen den allgemeinen Erwartungen stiegen die chinesischen Exporte Allianz Trade zufolge im vergangenen Monat um 8,6 Prozent an auf einen Gesamtwert von 307,8 Milliarden US-Dollar. Stahl, Haushaltsgeräte, Schiffe und Automobile waren demnach dabei die am schnellsten wachsenden Kategorien.
„Tatsächlich verzeichneten die chinesischen Pkw-Exporte im Juni mit einem satten Plus von 29 Prozent einen bemerkenswerten Boom“, sagt Latorre.
Aber auch andere asiatische Länder tragen zum Aufschwung des Handels bei. Südkoreas Exportvolumenindex wuchs demnach im Juni um +2,6 Prozent und damit ähnlich schnell wie der Indiens, während Taiwans Exporte im Jahresvergleich um +23,5 Prozent stiegen, wobei sich der Handel mit Computern, Elektronik und Halbleitern deutlich steigerte.
Das erhöhte Angebot und Nachfrage sind laut der Erhebung allerdings nicht der stärkste Preistreiber. Sie machen nur etwa 15 Prozent der Preisabweichung aus – wesentlich weniger als die Lieferkettenstörungen durch den Nahost-Konflikt.
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