Nachgefragt bei Manfred Rieck, DB Systel: „Der Quantencomputer erlaubt es, Optimierung ganz anders zu denken“

Im Interview mit LOGISTIK HEUTE erklärt Manfred Rieck, Leiter der Quantencomputing-Forschungsprojekte bei DB-Systel, wo Vorteile der Quantentechnologie liegen, wie sie in Europa vorangebracht werden kann und was die Deutsche Bahn plant.

Manfred Rieck ist Leiter der Quantencomputing Forschungsprojekte bei DB Systel. (Bild: DB Systel)
Manfred Rieck ist Leiter der Quantencomputing Forschungsprojekte bei DB Systel. (Bild: DB Systel)
Therese Meitinger

Quantencomputing gilt als Zukunftstechnologie. Doch wie groß ist das disruptive Potenzial für Verkehr und Logistik wirklich? LOGISTIK HEUTE hat bei Manfred Rieck, Leiter der Quantencomputing Forschungsprojekte bei DB Systel, dem Digitalpartner für die Konzerngesellschaften der Deutschen Bahn, nachgefragt. Rieck ist auch Vorstandsmitglied des European Quantum Industry Consortiums (QuIC) und des BITKOM AK HPC/QC.   

LOGISTIK HEUTE: Wie beurteilen Sie das generelle Potenzial von Quantencomputing für Verkehr und Logistik?

Manfred Rieck: Vom Quantencomputer erwarten wir verschiedene Anwendungsfälle. Bestimmende Themen sind auf der einen Seite die Materialforschung und die Materialsimulation, auf der anderen Seite sind es Optimierungsfragen – die für die Logistik ja besonders relevant sind. Insbesondere in der Optimierung treibt der Quantencomputer die Entwicklung voran. Das Thema wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft ganz anders gedacht werden können, als wir es heute kennen.

Wo liegt der Vorteil der Quanten-Technologie gegenüber Supercomputern?

In den heutigen Systemen nutzen wir Operations-Research-Ansätze. Vereinfacht gesagt zerschneiden wir ein Problem in kleine Teilprobleme und erarbeiten die Lösungen jeweils semi-parallel. Am Ende steht eine teiloptimierte Lösung. Beim Quantencomputer werden wir ein Problem vollständig parallel bearbeiten und damit ein globales Optimum berechnen können. Die Zustände 0 und 1 liegen quasi gleichzeitig vor und erzeugen einen sehr großen Lösungsraum. Wir erwarten, dass wir mit diesem Lösungsraum bessere Ergebnisse schneller berechnen können. Wir werden so Informatik-Probleme lösen können, die wir nach aktuellem Stand auf klassischen Systemen nur mit sehr geringer Geschwindigkeit lösen können.

Welchen Stellenwert hat das Quantencomputing für die Systemlandschaft von DB Systel?

In der DB Systel beschäftigen wir uns seit 2019 mit dem Thema. Im Rahmen von Förder- und Forschungsprojekten untersuchen wir die Potenziale für die Optimierung der Disposition. Dabei müssen wir anders herangehen als in der klassischen Anwendungsentwicklung. Der Entwickler arbeitet nicht nur mit anderen Tools, sondern erstellt für die Umsetzung auch andere Algorithmen. Dementsprechend tasten wir uns an das Thema schrittweise heran, so dass wir es gemeinsam mit  unserer Systemlandschaft, die wir zurzeit über eine Cloud betreiben, einsetzen können. Wir gehen davon aus, dass die Technologie in hybriden Systemen aus High Performance Computern und Quantencomputern zum Einsatz kommen wird. Entsprechend werden wir unsere IT-Infrastruktur anpassen müssen und unsere Mitarbeiter schulen.

Welche konkreten Anwendungen sind für DB Systel denkbar oder gar in Vorbereitung?

Im Prinzip geht es immer darum, Assets auf einem Netzwerk bestmöglich zu verteilen: Wie optimiere ich die Nutzung der Schienen, wie die Züge auf den Schienen, wie das Personal? Das reicht bis zu der Fragestellung, wie die Energieverteilung optimiert wird, sodass sie immer da ist, wo etwa der ICE gerade ist. Dieser gesamte Stack soll optimiert werden. Aktuell optimieren wir beispielsweise die Umlaufplanung und sehen uns an, wie die Umläufe der Züge am besten im Gesamtnetz der Bundesrepublik berechnet werden. Hier bilden wir Teillösungen auf Quantensystemen ab und testen es immer wieder mit realen Daten mit dem Ziel, unser System mit wachsenden Quantencomputern zu skalieren.

Wo sehen Sie als Vorstandsmitglied des European Quantum Industry Consortiums (QuIC) den größten Nachholbedarf, um Quantencomputing in der europäischen Industrie Schub zu verleihen?

In Europa haben wir aktuell ein Investmentvolumen von etwa 7,2 Milliarden Euro. In China liegt das Volumen hingegen etwa 15 Milliarden Dollar. In den USA kommen von der Regierungsseite ungefähr 2,3 Milliarden USD – plus die Investitionen der Big Player wie IBM, Alphabet, Honeywell und Amazon sowie VCs, die Unternehmen wie Rigetti und IonQ mit Kapital ausrüsten. In Europa ist es aufgrund der dezentralen Organisationsstruktur herausfordernd einen europäischen Masterplan zu entwickeln. Einem Masterplan, der sicherstellt, dass die Entwicklung Full-Stack von der Hardware bis zu den Applikationen erfolgt. Dies ist eins der Ziele des QuIC. In dem europäischen Industriekonsortium mit mehr als 160 Mitgliedern erstellen wir eine gemeinsame Roadmap und stellen sicher, dass die Entwicklung gesamthaft für Europa betrachtet wird und Quantum Computing zum Beispiel in den Chips Act in Brüssel aufgenommen wurde. Für uns ist der Dreiklang zwischen Industrie, Hochschulen und Politik ein ausschlaggebender Erfolgsfaktor.

Gibt es auf technischer Seite Herausforderungen, die besonders dringend zu lösen sind?

Der große Quantencomputer, den wir erwarten, steht bereits als Teillösung für die industrielle Nutzung zur Verfügung. Wir nutzen Quantencomputer, mit denen sogenannte Toy Problems berechnet werden können. Auf der Hardwareseite werden verschiedene Technologien wie gatebasierte Quantencomputer, Ionenfallen oder NV-Zentren untersucht. Welche Technologie dafür sorgt, dass der große Quantenrechner zur Verfügung gestellt wird, wird voraussichtlich in den kommenden drei bis fünf Jahren ermittelt, die Roadmaps der Hersteller sind beindruckend und wir haben in der vergangenen 3 Jahren sehr große Erfolge erlebt. Neben der Hardware ist für uns der Softwarestack mit der vergleichbaren Dringlichkeit zu entwickeln. Es stehen bereits verschiedene SDKs zur Verfügung und die Industrie arbeitet mit den Forschungseinrichtungen daran, diese in de Softwarelifecycle einzubetten. Aus Herstellersicht ein berechtigtes Interesse, denn über Software wird eine weitaus höhere Brutto-Marge als über Hardware erwirtschaftet. Wir als Deutsche Bahn betrachten die Entwicklung von der Applikationsseite. Wir sind nicht diejenigen, die in der Hardware jedes Detail entscheiden wollen und müssen, wir möchten die Systeme möglichst schnell im produktiven Einsatz verwenden.

Die Fragen stellte Therese Meitinger.