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Nachgefragt bei Christiaan Carstens / Leogistics: „Kein Unternehmen sollte digitalisieren der Digitalisierung wegen“

Digitale Technologien sollen transparente und automatisierte Prozesse bringen. Wie Unternehmen eine Digitalisierungsroadmap entwickeln, ohne sich dabei zu verzetteln, erklärt Christiaan Carstens, Mitglied der Geschäftsleitung beim Software- und Beratungsunternehmen Leogistics.

Christiaan Carstens, Mitglied der Geschäftsleitung beim Software- und Beratungsunternehmen Leogistics. (Bild: Leogistics)
Christiaan Carstens, Mitglied der Geschäftsleitung beim Software- und Beratungsunternehmen Leogistics. (Bild: Leogistics)
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Therese Meitinger

LOGSTIK HEUTE: Welche Bereiche und Prozesse eignen sich besonders für einen Einstieg in eine digitalisierte Logistik?

Christiaan Carstens: Grundsätzlich eignen sich vor allem Prozessbereiche, deren physische Wertschöpfung nach wie vor durch eine Vielzahl von manuellen Tätigkeiten geprägt sind – meist begleitet durch papierbasierte Informationsweitergabe und häufiger Kommunikation zwischen den Prozessteilnehmern. Mit Einsatz von Technologie können diese Prozesse automatisiert sowie das Management entsprechender Informationen digital synchronisiert werden.

Wie sollten Unternehmen beim Erarbeiten einer Digitalisierungs-Roadmap vorgehen?

Kein Unternehmen sollte digitalisieren der Digitalisierung wegen. Kern einer jeden Digitalisierungs-Roadmap ist die volle Transparenz über die Kernprobleme, welche mittels digitaler Technologien gelöst werden sollen sowie die Formulierung eines klaren Zielzustandes. Um diesen zu erreichen, gilt es einen realistischen Weg auszuarbeiten und sich ehrlich und kritisch mit den Fragestellungen bezogen auf die eigenen Fähigkeiten und den technologischen Reifegrad des Unternehmens auseinanderzusetzen. Lieber langsam mittels kleiner Schritte und dafür jedoch sicher mit hoher Motivation und Beteiligung aller ans Ziel kommen, als an zu hohen Ambitionen hinsichtlich Zielsetzungen zu scheitern.

Welche Faktoren entscheiden letztlich über den Erfolg eines Digitalisierungsprojekts?

Neben der bereits beschriebenen, klaren Vorstellung von der Problemstellung und einer Politik der kleinen, aber erfolgreichen Schritte bei der Umsetzung entscheiden die frühe und kontinuierliche Einbindung der relevanten Prozessbeteiligten über den Erfolg oder Misserfolg eines Digitalisierungsvorhabens. Digitalisierung bedeutet Veränderung. Veränderung, insbesondere im Einklang mit Optimierung und Automatisierung sowie im Zusammenhang mit neuer und unbekannter Technologie kann Ängste schüren. Je früher, klarer und vor allem auch verständnisschaffender das organisatorische Change Management aufgesetzt wird, desto erfolgreicher und einfacher wird die Inbetriebnahme neuer digitalisierter Prozesse sein.

Welche Fallstricke gilt es zu vermeiden?

Oftmals kann bei Digitalisierungsvorhaben, welche die zuvor genannten Punkte nicht befolgen, beobachtet werden, dass viel zu viel auf einmal gewollt wird. Unternehmen verrennen sich dadurch schnell in Details und verlieren das durch Digitalisierung eigentlich zu lösende Problem und die Zielsetzungen aus dem Auge. Es wird versucht, alle zu lösenden Problemstellungen der Logistik auf einmal unterzubringen, was wiederum für alle Beteiligten überfordernd sein kann. Lösungen werden dann schnell komplex, sind sehr schwer zu vermitteln sowie hinsichtlich Skalierbarkeit und Flexibilität nicht optimal, bremsen damit eher langfristig etwa durch zu hohe Betriebsaufwände als wirklich die gewünschten Benefits zu realisieren.

In welchen Bereichen von Logistik und Supply Chain Management ist der Digitalisierungsrückstand aktuell am größten?

Aus meiner Sicht gibt es drei Bereiche im Supply Chain Management, die nach wie vor ein sehr großes Digitalisierungspotenzial bieten: Zum einen umfasst dies die Transportlogistik. Hier kann die Transportplanung erwähnt werden. Diese ist vielfach noch isoliert und zu wenig auf Zusammenarbeit ausgerichtet, wobei mittels gemeinsamer und kollaborativer Plattformen entsprechende Möglichkeiten vorhanden wären. Das größte Aufholpotenzial liegt in der operativen Abfertigung von Transporten, welche weiterhin geprägt ist von vielen manuellen, vielerorts noch stark papierbasierten und nicht integrierten Prozess-Schritten. Dies ist in größeren und komplexeren Industrieanlagen der Fall, im Bereich multimodaler Umschlagterminals sowie im Hafendienstleistungsbereich für Schüttgüter und Schwerlast, hier insbesondere bei der Abfertigung von Bahntransporten. Im Frachtkostenmanagement gibt es ebenso Verbesserungspotenzial. In vielen Unternehmen besteht heute noch Intransparenz hinsichtlich geplanter und wirklicher Frachtkosten. Prüfungs- und Beanstandungsprozesse erfolgen weiterhin manuell und sind personalintensiv.

Ein weiterer Bereich mit massiven Optimierungsmöglichkeiten ist das operative Management von Mehrwegtransportbehältern. Oft mangelt es an Transparenz der genauen Bestandslage an Behältern. Schwund steht an der Tagesordnung, vermeintliche Überbestände binden Kapital, Unterbestände können produktionskritisch werden. Nicht unüblich ist das manuelle Bestandzählen im Rahmen von Kontostandsabgleichen. Neben prozessoptimierenden Ansätzen für Digitalisierung bietet dieser Bereich vor allem unter dem Aspekt der Kreislaufwirtschaft im Zusammenhang mit der Ökologisierung der Logistik ein hochinteressantes Themenfeld für künftige Vorhaben.

Der dritte Bereich betrifft die Inbound-Materialsteuerung, sprich den Zulauf von Rohstoffen und Baugruppen für die Produktion – insbesondere da, wo Volumenkontrakte vorherrschen und/ oder mittels Lieferabrufen entsprechende Rohstoffe für die Produktion bestellt werden. Vielfach kommt das Material überraschend. In seltenen Fällen sind alle Teilnehmer der Inbound-Supply Chain miteinander vernetzt und wissen unternehmensübergreifend über den Status der jeweiligen Abrufe und zugehörigen physischen Materialtransporte.

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