Nachgefragt bei Ashwin Bhat, CEO Lufthansa Cargo: „Der Luftfracht-Markt wird sich normalisieren“

Ashwin Bhat ist seit Mitte April CEO der Luftfrachtlinie Lufthansa Cargo. Mit LOGISTIK HEUTE sprach der Manager über SAF, Haihaut, Digitalisierung und die Entwicklung des Luftfrachtmarkts.  

Ashwin Bhat ist CEO von Lufthansa Cargo. (Bild: Lufthansa Cargo)
Ashwin Bhat ist CEO von Lufthansa Cargo. (Bild: Lufthansa Cargo)
Therese Meitinger

LOGISTIK HEUTE: Lufthansa Cargo hat sich dazu verpflichtet, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Welche Ansätze verfolgen Sie in diesem Kontext?

Ashwin Bhat: Unsere Verpflichtung ist für eine große Organisation ein guter Ausgangspunkt. In einigen Bereichen setzen wir kurz- und mittelfristig Schwerpunkte. Einer davon ist der nachhaltige Flugkraftstoff Sustainable Aviation Fuel, kurz SAF. Wir verwenden diesen seit einigen Jahren und bieten mittlerweile eine wöchentliche Verbindung zwischen Frankfurt und Schanghai an, in der 100 Prozent SAF genutzt wird. Lufthansa Cargo investiert mit Blick auf SAF auch in neue Technologien: Zusammen mit unserem Partner Kühne+Nagel unterstützen wir neuartige Power-to-liquid-Ansätze zur Produktion von SAF.

Und abseits von SAF?

Mit dem Einsatz von aerodynamischen sogenannten Haihaut-Beschichtungen, der sogenannten AeroSHARK-Technologie von Lufthansa Technik und BASF, versuchen wir von Mutter Natur zu lernen und dabei Kraftstoff einzusparen. Bis Ende 2023 sollen alle unsere Frachter mit Haihaut beschichtet sein. Außerdem investieren wir bei unseren Frachtern in neue Modellreihen, haben über die Jahre unsere McDonnell Douglas MD-11 ausgetauscht und setzen nun auf die 777F von Boeing. Hinzukommt der Einsatz von elektrischen Gabelstaplern in unseren Warenlagern sowie die Nutzung von Lightweight Containern – und wir decken unsere Paletten mit Folien aus recyceltem Plastik ab und nutzen auch leichtere Netze zur Gewichtseinsparung.

Wird sich der Markt für SAF Ihrer Ansicht nach schnell genug für die wachsende Nachfrage entwickeln?

Eine große Frage. Zumindest wir als Lufthansa Cargo sind gut versorgt und können auch weitere Versorgungsverträge mit unseren Kunden schließen. Doch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wird noch einmal stärker in den Fokus kommen, da das knappe Angebot den hohen Preis für SAF weiter nach oben treibt. Auch deswegen müssen wir uns eingehender mit neuen Produktionstechnologien auseinandersetzen.

Was tut Lufthansa Cargo, um die Digitalisierung im Frachtflugsektor voranzubringen?

Wir sehen uns als Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Wir sind die einzige Luftfrachtlinie, die zu 100 Prozent den elektronischen Luftfrachtbrief eAWB einsetzt. Aktuell investieren wir viel Geld, Wissen und Ressourcen in den Datenaustausch-Standard „ONE Record“, von dem wir glauben, dass er die Zukunft der Branche sein wird. Gemeinsam mit der IATA treiben wir ihn federführend voran. Hinzukommt, dass sich die Technologie stetig weiterentwickelt und wir eine Kultur und ein Mindset entwickeln müssen, um die Chancen, die sich daraus ergeben werden, nutzen zu können.

Die vergangenen Corona-Jahre haben der Luftfracht Rekordgewinne beschert. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie nun?

Wenn man die aktuelle Entwicklung nur mit den letzten beiden Jahren vergleicht, steht uns ein dramatischer Abstieg bevor – doch darin liegt eigentlich eine Normalisierung. Sei es wegen der Inflation, wegen des Ukrainekriegs oder zunehmender Kapazitäten – der Markt bewegt sich nach unten. Tatsächlich war die Luftfracht schon immer ein volatiles Geschäft, die Ausschläge nach oben und unten beobachten wir seit Jahren. Und die Luftfracht hat sich dem gegenüber als resilient erwiesen. Es ist Teil unserer Kultur, schnell und flexibel zu agieren, um die Situation in den Griff zu bekommen.

Hat die Luftfracht auch Neues aus den Pandemiejahren gelernt?

Sicher. Wer hätte gedacht, dass wir von einem auf den anderen Tag mit sogenannten „Prachtern“ fliegen würden, also Passagierflugzeugen, aus denen die Sitze entfernt wurden, um Platz für Fracht zu schaffen? Wir mussten Lösungen wie diese finden, da nicht alle Marktteilnehmer über Frachter verfügten. Trotz der Krise galt es ja, die Weltwirtschaft am Laufen zu halten. Die Flughäfen, die Behörden und Fluglinien haben sehr schnell zusammengefunden, um zu Transportlösungen für Persönliche Schutzausrüstung oder Impfstoffe zu gelangen. Unterschiedliche Denkansätze zu entwickeln angesichts der Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sehen – darin liegt für mich Resilienz begründet.

Welche großen Herausforderungen sehen Sie auf die Luftfracht zukommen?

Eine Reihe von Herausforderungen, in denen jeweils aber auch Chancen liegen. Viele davon haben mit Menschen zu tun. Angesichts des Fachkräftemangels wird es wichtiger, Menschen in den Fokus seiner Erwägungen zu stellen. Die zweite große Frage: Wie wird sich die Branche der Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen stellen? Kunden jeglicher Art möchten schließlich mit ethisch agierenden Unternehmen kooperieren. Auch Fachkräfte wollen für Arbeitgeber arbeiten, die sich in Sachen Nachhaltigkeit engagiert zeigen. Hinzukommt die Digitalisierung, die wir sehr konsequent umsetzen müssen. Dafür gilt es unsere Mitarbeiter entsprechend zu schulen. Zu guter Letzt müssen wir Lösungen schaffen – und nicht nur Transportmöglichkeiten. Schließlich ist unser strategisches Leitmotiv als Lufthansa Cargo „Enabling global business“.