LOGISTIK HEUTE: Wo steht die Luftfracht aktuell?
Dr. Andreas Jahnke, Accenture: 2022 war sie noch stark von den Auswirkungen der Coronapandemie getrieben. Generell wird Luftfracht immer dann gebraucht, wenn mindestens eine von drei Voraussetzungen vorliegt: Die Fracht ist zeitkritisch und soll schnell auf den Markt kommen. Die Fracht ist dringlich, weil etwa verderblich. Oder sie ist besonders teuer.
Mit dem Ausbruch der Coronapandemie sind Transportketten zusammengebrochen, gleichzeitig haben Konsumenten sehr viel bestellt. So war die Nachfrage nach Luftfracht enorm hoch. Zudem sind mit den fehlenden Belly-Kapazitäten aus den Passagierflügen bis zu 50 Prozent des Luftfrachtangebots ausgefallen. Die ungewöhnlich hohe Nachfrage bei stark begrenzten Kapazitäten hat zu sehr hohen Frachtraten geführt – bei Carriern mit Passagierflugzeugen und Frachtern ebenso wie bei Logistikdienstleistern mit eigener Flotte.
Bringt die sich abzeichnende Rezession den Markt zum Kippen?
Nicht so schlagartig und massiv wie im Ocean-Shipping-Bereich. Schließlich liegt die Luftfrachtkapazität noch etwas unter dem 2019er-Niveau, da immer noch aus dem asiatischen Raum Widebody-Passagierflugzeuge fehlen. Generell sind die Lager für viele Produkte zwar wieder gut gefüllt, die Ocean-Carrier als Alternative weitgehend intakt und es gibt weniger Staus in den Häfen. So sinkt die Nachfrage Stück für Stück, während die Kapazität steigt. Das drückt heute schon auf die Raten. Gleichzeitig bleiben bestimmte Lieferengpässe bestehen. Sobald etwa Chips produziert sind, müssen sie schnell transportiert werden. Die Luftfracht wird so noch sechs bis zwölf Monate eine höhere Nachfrage erfahren, danach wird sie jedoch schnell deutlich geringer ausfallen.
Sustainable Aviation Fuel (SAF) gilt als Hoffnungsträger in Sachen Dekarbonisierung, macht aktuell aber einen Bruchteil des verbrauchten Flugkerosins aus. Wird sich das in den nächsten Jahren ändern?
Eher langfristig. Der Aufbau der Kapazitäten kommt aktuell gar nicht mit der Nachfrage mit. Jede Airline und jedes Logistikunternehmen versucht, an SAF heranzukommen und geht dazu Kooperationen mit Herstellern, Vertreibern oder Raffinerien ein. Dass die Nachfrage bei Weitem das Angebot übersteigt, wird noch lange so bleiben. Wobei die Entwicklung auch davon abhängt, welche Ziele die Politik und die Unternehmen sich selbst setzen. Wenn Luftfrachtunternehmen ihren CO2-Abdruck massiv reduzieren wollen, müssen sie SAF sourcen. Wasserstoff oder Batterien sind auch aus physikalischen Gründen auf absehbare Zeit keine Alternative auf Langstrecken.
Wie digitalisiert ist die Luftfracht schon?
Die Luftfracht ist relativ langsam bei der Digitalisierung von Prozessen. Dinge, die wir im Handel seit vielen Jahrzehnten kennen – eine durchgängig dokumentierte Lieferkette, der Nachweis, was in einem Produkt steckt –, bestehen in der Luftfracht nicht so ohne Weiteres. Durch die Bündelung, die durch die Spediteure passiert, weiß das Luftfrachtunternehmen meist nur, dass es „General Goods“ transportiert. Was sich im Detail dahinter verbirgt, ist nach wie vor weitgehend unbekannt.
Was bremst die Digitalisierung?
Der Industrie fällt es noch immer schwer, sich auf Standards zu einigen und sie gemeinsam durchzusetzen. Der elektronische Luftfrachtbrief hat sich zwar weitgehend durchgesetzt, aber auch nicht zu 100 Prozent. Initiativen von verschiedenen Verbänden, wie zum Beispiel ONE Record von der IATA laufen teils ins Leere, weil Unternehmen nicht so sehr investieren, wie sie es müssten - um mehr Transparenz in Lieferketten zu erreichen, mit den Daten selbst zu arbeiten und bessere Kapazitätsplanungen vornehmen zu können. Jede Veränderung bedeutet zunächst doppelten Aufwand. Nutzen entsteht erst, wenn viele ein System verwenden. Solange das nicht der Fall ist, ist es erst einmal ein Invest – den ich persönlich aber für notwendig halte, um insgesamt in der Wertschöpfungskette effizienter zu werden.
Welche neuen Player kommen auf den Markt?
In den letzten zwei Jahren finden mehr und mehr Reedereien Gefallen an der Luftfracht. Einige haben eigene Airlines gegründet, beteiligen sich an Luftfrachtunternehmen oder haben Interesse daran. Das macht aktuell noch einen sehr kleinen Teil des Luftfrachtvolumens aus. Aber wahrscheinlich liegt das Interesse daran, dass die Reedereien gemerkt haben, dass sie auf diese Weise auf Kapazität und damit Alternativen zu ihren eigenen Schiffen zugreifen können. Diejenigen, die über Kapazität verfügen, haben nicht nur kosten-, sondern auch servicetechnisch einen Vorteil – so ein Learning aus Covid.
Kann man in die Luftfracht einfach so einsteigen?
Die Unternehmen sind gut beraten, wenn sie Luftfracht als etwas Eigenständiges betrachten und überlegen, wo gute Schnittstellen und Synergien liegen. Ein intermodaler Ansatz kann in bestimmten Situationen sinnvoll sein. Die Geschäftsarten Luftfracht und Seefracht sind jedoch sehr unterschiedlich – und damit auch die Philosophie und Kultur der dort aktiven Unternehmen.
Wo hakt es in der Luftfracht derzeit am meisten?
Am Boden. Die Differenzierung von Luftfracht findet immer am Boden statt. Wenn die Fracht einmal in der Luft ist, passiert ja nicht mehr viel. Im Grunde fliegen alle auf denselben Luftverkehrsstraßen. Qualität entscheidet sich am Boden. Sind die Prozesse pünktlich, verlässlich? Landet die richtige Ware zur richtigen Zeit in der vorgesehenen Maschine und fliegt sie pünktlich ab? Und werden dann bei der Entladung keine Fehler gemacht?
Wird 2023 ein gutes Jahr für die Luftfracht oder ein herausforderndes?
Ein gutes Jahr, aber kein außergewöhnlich gutes. Die außergewöhnlich guten Jahre haben wir hinter uns.
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