LOGISTIK HEUTE: Herr Groth, wie schafft man aus Ihrer Sicht ein völlig neues Produkt, das es so am Markt noch nicht gibt?
Patrick Groth: Eine Herangehensweise an die Entwicklung innovativer Produkte oder Dienstleistungen, die wir selbst benutzt haben, konzentriert sich radikal auf die aktuellen Probleme der Kunden. Diese Methodik wird als ‚First Principle Thinking‘ bezeichnet und ignoriert bewusst Einflüsse wie bestehenden Wettbewerb, vorhandene Technologie oder alte Dienstleistungen. Man beginnt auf dem weißen Blatt Papier und es geht nicht darum, bestehende Lösungen nur leicht zu verbessern, sondern radikal neu zu denken - das Ziel ist Disruption. Diese Denkweise hat uns ermöglicht, gänzlich neue Wege einzuschlagen und außerhalb der eingetretenen Pfade zu denken, um innovative Lösungen zu schaffen.
Wie darf man sich diese Vorgehensweise im Detail vorstellen?
Der Prozess startet mit der Aufstellung einer ersten Hypothese, die auf den identifizierten Problemen basiert. Der nächste Schritt ist die Kontaktaufnahme zu potenziellen Kunden. Dabei steht der offene Dialog im Vordergrund, um direktes Feedback einzuholen. Die Kunst besteht darin, auf dieses Feedback zu reagieren, schnell zu iterieren und nicht funktionierende Ansätze sofort zu verwerfen. Sobald eine Lösung gefunden wurde, für die Kunden bereit sind zu zahlen – selbst, wenn sie noch nicht perfekt ist –, wird der Fokus vollkommen auf diese Lösung gelegt.
Mit welcher Grundidee sind Sie in den Prozess eingestiegen?
Wir sind mit der These ‚Process Mining für den Mittelstand‘ gestartet. Diese entstand während eines Netzwerktreffens von Mittelständlern in der Logistikwirtschaft. Ich habe versucht, mit 25 Personen über Process Mining zu sprechen, keiner hatte jemals davon gehört, obwohl große Konzerne wie Telekom, Siemens oder BMW bereits Millionen an Kosten durch den Einsatz dieses Konzepts eingespart hatten. Damit war die Idee beziehungsweise meine erste Hypothese für die intelligente Prozessoptimierung durch Process Mining in der Logistik, kurz ‚Logatik‘, geboren.
Wie ging es danach weiter?
Ohne ausufernde Marktrecherche zu betreiben oder große Positionierungskonzepte zu erstellen, haben wir uns hinter den Hörer geklemmt, einen kostenlosen Piloten auf den Markt gebracht und erste Webinare veranstaltet. Wir waren weder geborene Vertriebler, noch hatten wir Referenzen, lange Industrieerfahrung oder sonst einen Vertrauensfaktor. Dass ein Vorstandsmitglied, damals Alois Seidl bei Carl Schlenk, trotzdem das Potenzial in uns und unserer Lösung gesehen hat, war für uns das notwendige Zeichen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, Skepsis und Selbstzweifeln haben wir durch ständige Anpassung, schnelles Feedback und Rückkopplungsschleifen ein profitables Geschäftsmodell aufbauen können.
Ist schnell scheitern immer noch der beste aller Tipps oder gib es andere Learnings, die Ihnen persönlich mehr bringen?
Ich bin überzeugt, dass schnelles Scheitern in der Anfangsphase eines solchen Prozesses unvermeidbar und sogar von Vorteil ist, weil es zu wichtigen Erkenntnissen führen kann. Viel entscheidender ist es aber, nicht zu früh aufzugeben.
Warum?
Die Gründe, weshalb eine Innovation zunächst nicht den erwarteten Erfolg bringt, können vielfältig sein. Aus meiner Erfahrung heraus ist es daher wichtig, den Misserfolg sorgfältig zu analysieren und genügend Testvolumen zu haben, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Rückblickend sind Durchhaltevermögen, eine hohe Frustrationstoleranz und eine lernbereite Einstellung in dieser Phase von unschätzbarem Wert. Wir hatten am Anfang Dutzende Pitches, Hunderte Cold-Calls, unzählige handgeschriebene Briefe verfasst und Webinare besucht, bis es das erste Mal geklappt hat, einen potenziellen Kunden zu überzeugen. In Rückblick, kann Ich sagen, dass der Weg dahin steinig ist, dass Gefühl die eigene Idee in den Markt gebracht zu haben, aber unbezahlbar ist! – Es lohnt sich, versprochen!
Welche Hürden haben sich in diesem Prozess ergeben – sowohl bei der Entwicklung von Innovationen als auch bei der Vermarktung?
Der Innovationsprozess bringt eine Vielzahl von Herausforderungen und Hürden mit sich. Unsere Schwierigkeiten waren vielfältig und lagen vor allem in der Teamarbeit und Rollenaufteilung über mangelnde Vertriebsfähigkeiten und fehlendes Know-how bis hin zu unzureichenden finanziellen und personellen Ressourcen oder ungenügendem Wissen über die Zielgruppe. Diese Hürden haben unseren Prozess verlangsamt und es oft schwierig gemacht, den genauen Grund für einen verlorenen Pitch, eine überraschende Projektabsage oder schlecht besuchte Webinare zu identifizieren. Hier gilt es, auf die eigene Intuition und das Bauchgefühl zu vertrauen, um trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen und den richtigen Weg zu finden.
Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie noch mal starten könnten?
Bei einem Rückblick auf den Anfang unseres Unternehmens würde Ich heute mehr Fokus auf die Kommunikation mit den Kunden und weniger auf interne Prozesse legen. Anstatt zahllose Retrospektiven zu halten und Social-Media-Beiträge zu formulieren, wäre es effektiver, den Schwerpunkt auf die Produktvalidierung durch gezielte Akquise und die Produktentwicklung durch konsequente Projektarbeit zu legen. Bis zu den ersten zahlenden Kunden sind alle anderen Aspekte von geringerer Bedeutung und können in der Priorisierung zurückgestellt werden. Wir haben unsere eigenen Ressourcen zu Beginn nicht optimal genutzt und haben den Blick auf die wesentlichen Aspekte, welche den Erfolg des Unternehmens gewährleisten, abschweifen lassen.
Das Gespräch führte Sandra Lehmann.
Mehr zum Thema Innovationen in der Logistik lesen Sie auch in der LOGISTIK HEUTE-Ausgabe 7-8/2023, die am 14. Juli erschienen ist.
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