Lebensmittellogistik: "Das Maß an Solidarität und Teamgeist war nie so hoch"
Christoph Nörtershäuser ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Transgourmet Deutschland und leitet den Bereich Logistik Foodservice. Im Interview spricht er über die Auswirkungen der Coronakrise insbesondere im Außer-Haus-Markt und in der Systemgastronomie. Außerdem erläutert Nörtershäuser die damit verbundenen Herausforderungen in der Logistik und im Streckenmanagement des Großhändlers.
LOGISTIK HEUTE: Herr Nörtershäuser, wie sind die Kunden von Transgourmet weiterhin vom Shutdown betroffen? Welche Auswirkungen hat die Coronakrise bisher für Ihr Unternehmen?
Christoph Nörtershäuser: Auch wenn es jetzt sukzessive zu Lockerungen kommt, bleibt die aktuelle Situation eine große Herausforderung und Belastung für die gesamte Branche. Der Umsatz im Außer-Haus-Markt und in der Systemgastronomie ist signifikant eingebrochen – das haben wir auch bei Transgourmet Deutschland deutlich zu spüren bekommen. Die verbleibenden Kunden machen weniger als die Hälfte des Umsatzes aus. Darauf haben wir mit verschiedenen Maßnahmen reagiert. Es ging im Sinne des Kunden darum, die Essensversorgung sicherzustellen. Für unsere Mitarbeiter ging es um die Sicherung ihrer Jobs. Und natürlich legen wir einen besonderen Fokus auf die erforderlichen Hygienemaßnahmen. Wir haben sehr früh alle Mitarbeiter in puncto Hygiene noch einmal eingehend geschult, da wir auch sehr sensible Kundengruppen wie Senioreneinrichtungen beliefern.
Transgourmet-intern haben wir direkt zu Beginn der Coronakrise einen Krisenstab eingerichtet. Es wurde eine Taskforce zusammen mit der Coop in der Schweiz gebildet, in der wir uns regelmäßig austauschen. Das hilft, die Fragen unserer Kunden zu Versorgungssicherheit, Notfallplänen oder getroffenen Vorsichtsmaßnahmen schnell und sicher zu beantworten.
Wie sieht es in Ihren Logistikzentren und -lagern aus? Zu viel Bestand, zu wenig, was geht weg und was bleibt liegen?
Wir haben die Bestände dem Absatz entsprechend angepasst und lagern aktuell circa 20 Prozent weniger Lebensmittel als vor der Krise. Insbesondere Frischeprodukte wurden weniger nachgefragt. Das war gerade zu Beginn der Krise ein großes Problem. Viele Artikel mussten wir entsorgen, da auch die Tafeln und andere Organisationen mit der neuen Situation überfordert waren und teilweise ihre Ausgaben geschlossen haben. Wir haben das Sortiment dann sehr schnell auf die neuen Bedürfnisse angepasst. Dann haben wir die Sortimentsbreite in den einzelnen Artikelgruppen etwas reduziert, um uns auf ein Standardsortiment zu konzentrieren, welches den Bedarf unserer verbliebenen Kunden deckt und das wir auch in der Lage sind umzuschlagen.
Zudem haben wir für unsere Kunden ein High-Convenience-Sortiment neu entwickelt, das mit einem geringen Personalaufwand und einer reduzierten Küchentechnik zubereitet werden kann. Daneben gibt es viele sofort verfügbare Artikel, die unabhängig von der Art der Mahlzeit für den Tischgast sowie als To-go-Lösung einsetzbar sind.
Die Warenverfügbarkeit bei Transgourmet ist für den überwiegenden Teil unseres Sortiments gewährleistet. Lediglich bei Hygieneartikeln gab es teilweise immer noch Einschränkungen aufgrund einer erhöhten Nachfrage und dem Engpass im Beschaffungsmarkt. Für generellen Aufwind haben Anlässe wie Ostern oder der Maifeiertag gesorgt, da wir in diesen Feiertagswochen bei leicht steigender Menge auch immer einen Arbeits- und Ausliefertag weniger zur Verfügung haben. Die aktuellen Feiertage gepaart mit den Lockerungen in der Gastronomie lassen uns nun aber auch wieder optimistisch in die Zukunft schauen.
Mit den Lockerungen für die Gastronomie wird sich dies sukzessive verbessern und die Mengen werden sich wieder erhöhen. Daher befassen wir uns in der Taskforce jetzt verstärkt damit, wie wir Warenverfügbarkeit und Zustellung flexibel hochfahren können, wenn die Nachfrage weiter steigt. Dazu sprechen wir regelmäßig mit unseren Kunden, um eine realistische Einschätzung zu bekommen. Klar ist aber auch, dass wir nach der Krise auf absehbare Zeit nicht das alte Niveau erreichen werden.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen im Streckennetz und im Streckenmanagement?
In der Tourenplanung haben wir viele Touren einstellen müssen. In Summe hat sich die Tourenanzahl in etwa halbiert. Die Touren wurden damit länger, da das zu beliefernde Gebiet für jeden einzelnen Kraftfahrer entsprechend wächst. Das macht die Personalplanung insofern anspruchsvoll, da alle Mitarbeiter in Kurzarbeit sind und somit keine Mehrarbeit leisten dürfen. Wir nutzen verschiedene Modelle der Kurzarbeit: In einigen Betrieben kommen die Mitarbeiter im täglichen Wechsel, in anderen im wöchentlichen Wechsel. In zwei Betrieben haben die Mitarbeiter sogar ein Halbtagesmodell gewählt. Die Mitarbeiter im Lager kommen täglich für die gleiche, vereinbarte Stundenanzahl.
Wie ist die aktuelle Auslastung Ihrer Lkw-Flotte und der Fahrer?
Seit dem 1. April befindet sich ein Großteil der Mitarbeiter (mit 50 Prozent) in Kurzarbeit. Durch Maßnahmen wie diese oder den „Verleih“ von Mitarbeitern an den Einzelhandel konnten wir die Jobs sichern. Zu Spitzenzeiten haben rund 500 unserer Mitarbeiter im Einzelhandel unterstützt, vor allem Kraftfahrer und Kommissionierer. Doch auch hier wird der Bedarf kleiner. Im Mai hatten wir noch etwa 180 Mitarbeiter im Einsatz, im Juni geht der Bedarf hier allerdings gegen null. Mit sinkender Auftragslage sind natürlich weniger Lkw im Einsatz, aktuell 60 Prozent unserer Flotte. Aktuell sind 150 Lkw kurzfristig stillgelegt. Innerhalb von 48 Stunden lassen sich diese jedoch abrufen und auf der Straße wiedereinsetzen.
Wie funktioniert die Zustellung derzeit?
Die Nachfrage nach einer kontaktlosen Zustellung ist gestiegen – dem kommen wir natürlich nach. Was durch die Hygienevorschriften nun wegfallen wird, ist die direkte Unterstützung vor Ort, wie etwa das Einräumen der Ware. Das ist auch kein Service als Teil der Zustellung, dennoch versuchen wir natürlich immer, den Kundenwünschen nachzukommen.
Was hat bisher besonders gut und schnell funktioniert?
Eine der größten Herausforderungen war es, den Mitarbeitern Jobsicherheit zu geben. Um Kurzarbeit zu reduzieren, haben wir die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, darunter Speditionen, weitestgehend eingeschränkt und die Tätigkeiten durch unsere Fahrer in Eigenregie übernehmen lassen. Den Transport mit Hängerzügen oder die Verladung in die Transgourmet Transshipment Points wickeln wir jetzt in einigen Betrieben selbst ab.
Zudem haben wir Mitarbeiter an den Einzelhandel „verliehen“ und hierfür unter anderem Agreements mit Rewe und Penny getroffen. Dazu bedarf es der Beantragung einer Güterkraftverkehrserlaubnis für unsere Betriebe. Bemerkenswert war die Zusammenarbeit mit den Behörden, die reibungslos und sehr schnell geklappt hat. Innerhalb weniger Tage lag die Erlaubnis vor. Dadurch konnten wir auch sehr schnell darin unterstützen, die Versorgungssicherheit im deutschen Lebensmittelhandel gerade in den Tagen zu Beginn der Krise zu gewährleisten.
Auch die interne Abstimmung und Umsetzung ging reibungslos und zügig, keine Selbstverständlichkeit bei einer dezentralen Unternehmensstruktur wie bei Transgourmet Deutschland. Die Betriebsräte und die Gremien der Spartenbetriebe müssen sich einigen, was sie auch schnell getan haben. Das wiederum hat dafür gesorgt, dass wir zeitnah reagieren konnten – und das wissen auch unsere Mitarbeiter zu schätzen. Das Maß an Solidarität und Teamgeist war nie so hoch.
Lagerhallen, Logistikimmobilien , Logistik-Newsletter , KEP-Dienste , Container, Paletten , Intralogistik & Supply Chain Management (SCM) , Verpackung & Verladung , Versand, Umschlag & Lieferung , Luftfrachtverkehr , Gabelstapler , Fahrerlose Transportsysteme (FTS) , Fashion Logistics , Fördertechnik , Lagertechnik , E-Commerce , Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) , LogiMAT , Logistik- bzw. Transport-Dienstleistungen , Industrie 4.0 , Neubau (Logistikzentrum) , Digitalisierung & Vernetzung , Logistik-IT , Logistik-Studium , Transport- und Logistik-Dienstleistungen , Kommissionierung