Konjunktur: Logistik sieht sich nicht gut auf die Zukunft vorbereitet

Der Future Readiness Index von KPMG erkennt deutliche Defizite bei Transport und Logistik. Dr. Steffen Wagner, Head of Transport & Leisure, KPMG, ordnet die Ergebnisse ein.

Verkehrsträgerübergreifend sah sich die Transportlogistik in 2022 multiplen Krisen gegenüber. (Symbolbild: Eisenhans / Adobe Stock)
Verkehrsträgerübergreifend sah sich die Transportlogistik in 2022 multiplen Krisen gegenüber. (Symbolbild: Eisenhans / Adobe Stock)
Therese Meitinger

Der Optimismus bei Transport- und Logistikdienstleistern hat sich im Laufe des Jahres 2022 eingetrübt. Insgesamt sehen sich dort aktive Unternehmen weniger gut für die künftigen Herausforderungen aufgestellt als noch im Jahr 2020. Zu diesem Ergebnis kommt der jüngst veröffentlichte Branchenreport „Transport- und Logistikbranche“, der auf Ergebnissen des „Future Readiness Index“ der Wirtschaftsberatung KPMG basiert. Dazu wurden in mehreren Erhebungen insgesamt 601 Top-Entscheider unterschiedlicher Branchen befragt. Geopolitische und wirtschaftliche Herausforderungen nehmen demnach einen deutlichen Einfluss auf die Stimmungslage des Wirtschaftsfelds. Handlungsdruck ergibt sich KPMG zufolge insbesondere aus vermehrten regulatorischen Anforderungen rund um Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

Gesamtindex: Im Vergleich zu 2020 stellte sich die Zukunftsfähigkeit des Sektors Transport und Logistik im „Future Readiness Index“ zu Beginn des Jahres 2022 zunächst das dritte Jahr in Folge leicht verbessert dar. Dieser Trend konnte im Laufe des Jahres jedoch nicht bestätigt werden; der Sektorindex sank bei erneuter Abfrage im Sommer 2022 leicht ab.

Optimismus: Hatte sich das Stimmungsbild im ersten Quartal 2022 gegenüber der letzten Umfrage im Jahr 2020 noch leicht verbessert, zeigt sich im Sommer 2022 ein deutlicher Einfluss anhaltender Verunsicherung durch geopolitische Entwicklungen, zunehmende Decoupling-Tendenzen, steigende Inflation, Rezessionsängste, Versorgungsengpässe und Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel sowie steigende Energie- und Rohstoffpreise.

Reifegrad: Bereits im ersten Quartal 2022 schätzten die befragten Transport- und Logistikunternehmen die derzeitige Verfassung ihres Unternehmens in Bezug auf die Anforderungen von morgen deutlich niedriger ein als noch im Jahr 2020. Diese Entwicklung wird durch die Umfrage im dritten Quartal bestätigt, jedoch mit zum Teil deutlichen Änderungen in einzelnen Aspekten: Unter anderem bei der Anpassung an politisch-regulatorische sowie ökologische Veränderungen sehen sich die Unternehmen tendenziell schwächer aufgestellt als noch zu Jahresbeginn. Die Einschätzung des Reifegrades in Bezug auf das Produkt- beziehungsweise Dienstleistungsportfolio ist dagegen im dritten Quartal im Vergleich zum Frühjahr tendenziell gestiegen.

Investitionen: Die Bedeutung zukünftiger Investitionen ist 2022 im Vergleich zu 2020 leicht gestiegen. Dieser Trend wird durch die Umfrage im dritten Quartal bestätigt. Tendenziell nimmt die Bedeutung der Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel und Kundenbedürfnisse zu; Prozesse und Arbeitsabläufe verlieren im Jahresverlauf eher an Priorität.

Trend-Sensitivität: Die Wahrnehmung von Herausforderungen und Trends ist seit 2020 deutlich gestiegen. Mit 6,3 Punkten lag die Trendsensitivität der Branche bereits zu Beginn des Jahres um 0,2 Punkte über dem Gesamt-Trendsensitivitäts-Index. Diese Entwicklung wird durch die Umfrage im dritten Quartal bestätigt, mit überwiegend nur leichten Verschiebungen der Trendeinordnung. Der demografische Wandel verliert im Jahresverlauf tendenziell an Bedeutung; stärkere Herausforderungen werden in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz gesehen.

„Der Blick vieler Transportunternehmen auf die eigene Robustheit hat sich verändert“

Im Gespräch mit LOGISTIK HEUTE gibt Dr. Steffen Wagner, Head of Transport & Leisure, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, seine Einschätzung zu den Ergebnissen des Future Readiness Index.

Laut der Erhebung von KPMG sehen sich Transport und Logistik 2022 schlechter für die Zukunft aufgestellt als 2020. Ist dies nur aus den multiplen Krisen der letzten Jahre zu erklären?

Dr. Steffen Wagner, KPMG: Aus unserer Sicht haben die diversen globalen Krisen den Blick vieler Transportunternehmen auf die eigene Robustheit maßgeblich verändert und die Wahrnehmung zukünftiger Herausforderungen deutlich erhöht. Schließlich werden durch die diversen Krisen nahezu alle Bereiche eines Unternehmens tangiert, sowohl auf der Umsatz- als auch auf der Kostenseite. Hinzu kommt eine unverändert große Planungsunsicherheit in Verbindung mit einer anhaltenden Neuordnung globaler Lieferketten, die in dieser Form für die Mehrzahl der betroffenen Unternehmen kaum vorhersehbar war.

Der Index beschreibt, dass das Risikomanagement von vielen Unternehmen in Transport und Logistik noch vernachlässigt wird. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Nach unserer Erfahrung sind Krisen häufig Anlass für Unternehmen, ihre Risikomanagementsysteme einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Angesichts der rasanten Geschwindigkeit gesellschaftlichen Wandels sowie weltwirtschaftlicher und politisch-regulatorischer Veränderungen in den letzten Jahren überrascht es daher nicht, dass viele Unternehmen ihren eigenen Reifegrad im Lichte der aktuellen Situation geringer einschätzen als in der Vergangenheit. Zugleich sieht sich die Mehrzahl der Unternehmen mit einer zunehmenden Regulierung in Bezug auf Nachhaltigkeit und Compliance konfrontiert, aus der sich ebenfalls die Notwendigkeit einer verstärkten Auseinandersetzung mit Risikomanagementaspekten ergibt.

Welches sind – neben dem SCRM – die wichtigsten Stellschrauben, mit denen Unternehmen aktuell ihre Future Readiness stärken können?

Große Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der Transport- und Logistikbranche haben weiterhin eine erfolgreiche digitale Transformation und Automatisierung, die Anpassung an den demografischen Wandel und die Veränderungen der Arbeitswelt, sowie die Bedienung immer stärker individualisierter Kundenbedürfnisse. Schlüssel hierfür sind möglichst transparente (digitale) Prozesse getragen von einer starken Governance- und Compliance-Kultur.