Interview: „Das europäische Lieferkettengesetz schließt Kaffeebauern vom Markt aus“
LOGISTIK HEUTE: Sie haben Bedenken bezüglich des geplanten europäischen Lieferkettengesetzes angemeldet. Worauf beziehen Sie sich?
Dr. Sebastian Brandis: Wir sind als humanitäre Organisation seit mehr als 40 Jahren in Äthiopien aktiv und verfolgen dabei das Ziel, die wirtschaftliche Situation der Menschen zu verbessern, indem wir ihnen zu einem Einkommen verhelfen, das über die Subsistenzwirtschaft hinausgeht. Dazu gehört in Äthiopien der Kaffeeanbau, der das größte Exportgut des Landes ist. Er wird dort vor allem in kleinbäuerlichen Strukturen angebaut, mit denen wir uns in unserer Arbeit viel beschäftigen – auch in Kooperationen mit Partnern wie Dallmayr. Doch durch die Vorgaben aus dem geplanten europäischen Lieferkettengesetz sehen wir die kleinbäuerlichen Strukturen auf dem Kaffeemarkt unmittelbar bedroht.
Welche Gefahr sehen Sie?
Das europäische Lieferkettengesetz verfolgt ohne Zweifel hehre Ziele. Dadurch, dass die Initiative dazu aus der Brandkatastrophe im Rana Plaza in Bangladesch erwachsen ist, bezieht es sich in erster Linie auf große Hersteller und ist auch so gebaut. Im Kaffeemarkt gibt es jedoch unter den 30 bis 40 exportierenden Ländern nur wenige, die Großplantagen betreiben, 90 Prozent der Akteure arbeiten in kleinbäuerlichen Strukturen. Wenn ein europäisches Lieferkettengesetz jetzt von importierenden Kaffeeröstern wie Tchibo oder Melitta fordert, die Herkunft der Kaffeebohnen bis auf die niedrigste Ebene nachverfolgen zu können, ist das für den äthiopischen Markt schlicht nicht möglich, da Agrarlieferketten hier anders funktionieren.
Kleinbauern haben also Wettbewerbsnachteile?
Sie werden über kurz oder lang vom Markt ausgeschlossen, da große Anbieter die Traceability viel eher herstellen können, wenn sie Kaffee von Großplantagen beziehen. Die gute Intention wird so in ihr Gegenteil verkehrt. Ich bin absolut für ein Lieferkettengesetz, da sich in den letzten Jahren immer wieder gezeigt hat, dass Freiwilligkeit nicht funktioniert. Man muss sich bei der konkreten Ausgestaltung aber auch ansehen, wie unterschiedliche Lieferketten funktionieren.
Wie könnte man den negativen Effekten entgegenwirken?
Zunächst sollte man die beteiligten Parteien mit an den Tisch holen. Die öffentliche Diskussion in Europa wird vor allem unter dem Aspekt der Entwicklungspolitik und dem Engagement der Unternehmen geführt. Der Webfehler des Gesetzes liegt darin, dass europäische Politiker in erster Linie Politik für ihre Wähler machen – und damit die Supplyländer außen vor sind. Im aktuell laufenden Trilog, der den Gesetzestext der europäischen Direktive konkret macht, bestünde aber noch die Chance, die Perspektive der vor Ort Betroffenen einzubinden. Beim Kaffeemarkt könnten etwa nationale Kaffeeverbände, Exporteure oder auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ihr Wissen über lokale Lieferketten in die Verhandlungen einbringen.
Und auf der technischen Seite?
Da ist noch vieles ungelöst. Es gibt auf der einen Seite wunderbare Tracing-Möglichkeiten über Geotagging oder Satellitenbilder, auf der anderen Seite ist in Ländern wie Äthiopien die Stromversorgung nicht immer gewährleistet. Es hat auch nicht unbedingt jeder Bauer ein Smartphone. Eine Frage ist daher auch, wie Schnittstellen für High-Tech-Lösungen aussehen könnten, in denen die Bauern über verschiedene Wege, sei es über High-Tech oder Low-Tech ihre Daten eingeben? Die EU könnte dabei Programme anbieten, um die Länder beim Aufbau der Infrastruktur zu unterstützen. Bei bestimmten Agrarketten würde sich auch eine Übergangsphase von einigen Jahren anbieten, in denen das Gesetz noch nicht greift, man aber gemeinsam an der Implementierung arbeitet. Wenn man nur sagt: „Wir wollen das so, also macht einmal“, steckt auch eine subtile koloniale Haltung dahinter.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das deutsche Lieferkettengesetz?
Das sehen viele Unternehmen weniger problematisch, da hier der Fokus vor allem auf dem Risikomanagement liegt. Deutsche Unternehmen müssen lediglich Lieferanten ersten Grades monitoren und müssen in einem Best-of-Class-Ansatz eine generelle Transparenz herstellen. Der Entwurf des europäischen Lieferkettengesetzes sieht jedoch für alle Lieferketten die gleiche tiefgehende Traceability vor.
Die Fragen stellte Therese Meitinger.
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