Eigentlich hatten die Hamburger Kaufleute Max Herz und Carl Tchiling-Hiryan nur Kaffee im Sinn. Vor 75 Jahren, wenige Wochen vor der Geburt der Bundesrepublik, gründeten sie am 15. März 1949 in der Hansestadt eine kleine Firma mit der damals recht unüblichen Idee, frisch gerösteten Kaffee per Postversand anzubieten. „Tchibo“, gebildet aus den ersten Silben des Namens „Tchiling“ und des Wortes „Bohne“, expandierte unter der Führung von Herz rasch: Er reiste mit seiner Frau Ingeburg höchstselbst durch die Republik, um neue Standorte für Filialen zu finden.
Jahrzehnte später ist Tchibo – auch dank der Übernahme des Konkurrenten Eduscho 1997 – ein Platzhirsch im deutschen Kaffeemarkt – und zugleich ein in Supermärkten, den eigenen Filialen und dem Internet omnipräsenter Handelskonzern. Dabei war der Aufbau des Handelsgeschäfts als zweite Säule vom Start weg eine „eigentlich eher zufällige Erfolgsgeschichte“, wie die Betriebswirtin Verena Platzer in einer an der Universität Graz verfassten Masterarbeit über den Tchibo-Weg vom Kaffeehändler zum Handelsriesen rekonstruiert.
Gebrauchsartikel zum Kaffee
Tchibo hatte immer wieder kleine Gebrauchsartikel wie Trockentücher, Messbecher oder Vorratsdosen als Zugabe zum Kaffee verteilt. Ein millionenfach aufgelegtes und mit dem Kaffeekauf abgegebenes Kochbuch verärgerte aber die Konkurrenz derart, dass es ein Fall für die Justiz wurde – mit dem Ergebnis, dass eine derartige Koppelung 1973 höchstrichterlich untersagt wurde.
Damit wurde die Idee geboren, diverse Produkte neben dem Kaffee eben zu verkaufen. „Jede Woche eine neue Welt - Tchibo überrascht wöchentlich seine Kunden mit neuen Gebrauchsartikeln zu den unterschiedlichsten Themen“, hieß das Credo. Zu den Schwerpunkten der schnell wechselnden Sortimente zählen unter anderem Kleidungsstücke, Haushaltsgegenstände und Wohnaccessoires.
Gelegentlich riefen vermeintlich skurrile Produkte auch schon mal Spötter auf den Plan. Das Medienportal „Buzzfeed“ zeigt auf einer Themenseite unter der Überschrift „26 Tchibo-Produkte, die Deutschland dem Rest der Welt erstmal erklären muss“ etwa einen „Sprintfallschirm“ für das Ausdauertraining, einen Kaffeebecherhalter für den Fahrradlenker oder ein LED-Leselicht, das an der Brille montiert werden kann. Tchibo hat sogar selbst solchen Artikeln einen Blogbeitrag gewidmet: „Bananenschneider, Energie-Frosch, Handtuchkleid, Kiwi-To-Go-Box, Butterstempel, Hunde-Bademantel. Von vielen belächelt, von noch mehr geliebt: Unsere verrückten Tchibo Produkte“, heißt es da. „Doch Fakt ist: Diese Gadgets machen nur einen Bruchteil unserer Themenwelten aus. Die allermeisten Produkte dienen zur Verschönerung und Erleichterung unseres Alltags.“
Nicht nur schwarze Zahlen
Dass das Geschäftsmodell kein Selbstläufer mehr ist, hat Tchibo spätestens 2022 gemerkt, als das von Gewinnen verwöhnte Unternehmen bei einem auf gut 3,2 Milliarden Euro stagnierenden Umsatz vor Zinsen und Steuern ein Minus von 167 Millionen Euro einfuhr. Erklärt wurde das bei der Bekanntgabe der Zahlen im Sommer 2023 mit dramatisch gestiegenen Rohwaren-, Energie- und Frachtkosten sowie der weltweiten Lieferkettenkrise. Als weiterer Faktor wurde genannt, dass der geplante Umsatz im Handelsgeschäft abseits von Lebensmitteln „aufgrund der inflationsbedingten Kaufzurückhaltung der Kundinnen und Kunden nicht realisiert“ worden sei.
Zu den angekündigten „Reorganisationsmaßnahmen“ äußerte sich das Unternehmen im Detail nicht. Als sicher gilt aber, dass das Kaffeegeschäft wieder stärker in den Fokus rücken sollte. Wie 2023 für Tchibo gelaufen ist, wird die Tchibo-Holding Maxingvest, zu der auch der Hamburger Konsumartikler Beiersdorf gehört, erst im Sommer bekanntgeben. „Tchibo läuft wieder auf Kurs und schreibt in 2023 wieder schwarze Zahlen“, heißt es bislang nur aus dem Unternehmen.
Vorne mit dabei
Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein attestiert Tchibo „sicherlich bemerkenswerte Pionierleistungen“. Den Weg des Lebensmitteleinzelhandels in den Nonfood-Bereich habe Tchibo „quasi als Erster zumindest oder mit ganz am Anfang geprägt“. Und auch beim Wechsel vom gedruckten Katalog ins Onlinegeschäft sei Tchibo „ganz vorne mit dabei“ gewesen.
Aus Sicht von Heinemann und anderen Handelsexperten, wie Carsten Kortum von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn, ist das Konzept, Artikel in schnell wechselnden Themenwelten zu vermarkten, aber in die Jahre gekommen. „In Inflationszeiten mit knappen Budgets sind Impulskäufe bei Nonfood stark rückläufig“, schreibt Kortum in einem Blogbeitrag seiner Hochschule. „Alle Anbieter von wöchentlichen Aktionen von Kleinthemen durch die ganze Warenwelt sind davon betroffen.“
Das liegt nach Einschätzung von Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg auch daran, dass der Schnäppchencharakter vieler Angebote nicht mehr vorhanden ist. Früher hätten Kunden die feilgebotene Ware als günstige Gelegenheit wahrgenommen, die so schnell nicht wiederkommt, sagt Roeb. „Heute gibt es solche Gelegenheiten ständig.“
Tatsächlich ist Tchibo längst nicht mehr allein. Auch andere Discounter wie Rossmann mit seiner „Ideenwelt“ oder Lidl mit Themenwochen haben ähnliche Konzepte entworfen. Hinzu kommt, dass chinesische Billig-Marktplätze wie Temu oder Shein inzwischen allgegenwärtig sind.
„Das sind ja alles neue Haifische, die von dem nicht wachsenden Marktvolumen fressen und das merkt im Endeffekt ein Tchibo, das ist einfach so“, sagt Heinemann.
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