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BVL: Die Verzögerungen in den Lieferketten steigen in unbekanntem Maße

Nach einer Einschätzung des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL) wird sich die Situation in den Lieferketten und bei der Versorgung mit Rohstoffen in den nächsten Monaten noch weiter verschlechtern. Viele Unternehmen würden wieder Kurzarbeit einführen müssen.

In den nächsten Monaten wird sich die Situation in den Lieferketten und bei den Rohstoffen laut BVL weiter zuspitzen. (Bild: AdobeStock, vichi81)
In den nächsten Monaten wird sich die Situation in den Lieferketten und bei den Rohstoffen laut BVL weiter zuspitzen. (Bild: AdobeStock, vichi81)
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Gunnar Knüpffer
(erschienen bei Transport von Nadine Bradl)

Der Vorstand der Bundesvereinigung Logistik (BVL) hat bei seiner Sitzung vergangene Woche in Duisburg auch eine aktuelle Stunde zu den aktuellen Herausforderungen in den Lieferketten und bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten angesetzt. Dabei zeichneten die Vorstände einhellig ein düsteres Bild für den weiteren Jahresverlauf. Demnach sind alle bisherigen Prognosen noch deutlich zu optimistisch.

„Die Zahl der Schiffe, die vor Shanghai auf die Entladung warten, hat eine ganz neue Dimension. Allein das wird die Wirtschaft massiv belasten“, so Dorothea von Boxberg, Vorstandsvorsitzende von Lufthansa Cargo. Auch Josip T. Tomasevic, Senior Vice President bei der AGCO Corporation (unter anderem Fendt), warnte: „Da kommt noch eine Welle auf uns zu. Selbst optimistisch gesehen werden die Probleme bis mindestens Mitte 2023 andauern.“

„Die Lieferketten kann man zurzeit nicht kontrollieren. Das wird eine riesige Dimension bekommen und Verzögerungen, die wir so noch nicht kennen“, ergänzte Tim Scharwath, CEO DHL Global Forwarding Freight.

Professor Kille: Bis zur Normalisierung dauert es viele Monate

BVL-Marktexperte Prof. Dr. Christian Kille vergleicht den Effekt mit einem Stau auf der Autobahn: „Selbst wenn der Schiffsstau vor Shanghai sich auflöst und die meisten Fabriken in China aus dem Lockdown gehen, wird es viele Monate dauern, bis sich die Lieferketten normalisieren. Das ist wie bei einem Stau auf der Autobahn, der sich weiterverbreitet und sich aufschaukelt, obwohl der eigentliche Grund für den Stau sich längst aufgelöst hat."

Bis die Hinterlandverkehre wieder funktionieren würden und die Leercontainer den Weg zur nächsten Beladung gefunden hätten, würden Monate vergehen. Das Beispiel USA zeigt laut Kille, dass das Nadelöhr einfach auf die Landseite wandert.

„Zwar sind irgendwann die Schiffe leer, aber die Hafenflächen voll. Der Schiffsstau wird sich zudem zunächst auf die europäischen Häfen verlagern, weil diese den Ansturm nach der Pause nicht bewältigen können.“

Die Verzögerungen durch den Stau im Suezkanal durch die Evergiven und die kurzzeitig wegen Corona geschlossenen Terminals in China im Frühjahr und Mitte 2021 konnten nach Zahlen des Kiel Trade Indicator wohl bis heute nicht vollständig aufgelöst werden.

Josip Tomasevic: Standortnachteile für Europa durch Krieg und Energiekrise

Als größte aktuelle Gefahr bezeichneten Teilnehmer aus der Industrie die Energiekrise und die Rohstoffknappheit. „Es gibt derzeit zwei Standortnachteile für Europa: den Krieg und die Energie“, so Josip Tomasevic.

Eine „wirtschaftliche Vollbremsung“ konstatierte Stephan Wohler, Vorstand bei Edeka Minden-Hannover, für den Lebensmittelbereich. Nach einem guten 2021 führten die rasant steigenden Preise zu Nervosität bei den Verbrauchern und einer Konzentration auf Preiseinstiegsprodukte statt auf bekannte Marken.

Auf die Folgen der Krise für Investitionen der öffentlichen Hand, insbesondere Infrastrukturprojekte wies Dr. Christian Jacobi, Geschäftsführer Agiplan, hin: „Rohstoffmangel und Kostensprünge sorgen dafür, dass geplante Bauvorhaben nicht realisiert werden oder sich verzögern. Auch die Investitionen des Staates werden sich verlagern, denn er kann auf Dauer nicht alle geplanten Maßnahmen bezahlen." Die Kriegsfolgen und Kompensationsprogramme aufgrund der Coronapandemie würden dazu führen, dass Finanzierungstöpfe kleiner oder zeitlich gestreckt werden, sagte Jacobi. Viele Unternehmen würden aufgrund des Mangels an Vorprodukten und Rohstoffen sowie der hohen Energiekosten wieder in Kurzarbeit gehen müssen. Insgesamt stehe Deutschland vor großen Herausforderungen.

Der BVL-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Thomas Wimmer zeigte sich ernüchtert: „Die Einschätzungen unserer Vorstandsmitglieder aus Industrie, Handel und Logistikdienstleistung gehen deutlich über die bisher veröffentlichten Prognosen hinaus. Bevor wir vielleicht irgendwann in 2023 eine Besserung erwarten können, wird die Situation bei den Lieferketten und Rohstoffen in den nächsten Monaten deutlich schlimmer werden. Darauf müssen sich Unternehmen wie Verbraucher einstellen.“

Nicht alle Unternehmen gleichermaßen betroffen

Wimmer verwies darauf, dass nicht alle Unternehmen gleichermaßen betroffen sind: „Wenn Unternehmen frühzeitig ihr Risikomanagement angepasst und zusätzliche oder alternative Lieferanten erschlossen haben, wenn die Beziehungen zu Reedereien und Speditionen langfristig gepflegt wurden und so noch Kapazitäten verfügbar waren, sind sie weniger stark betroffen. Aber letztendlich fahren alle zurzeit nur auf Sicht.“

Für die Zukunft müsse sich die Haltung vieler Unternehmen ändern, so BVL-Marktexperte Kille: „Unabhängigkeit wird wichtiger, auch Flexibilität und Zuverlässigkeit – und das kostet mehr. Wenn Unternehmen unabhängiger und autarker agieren sollen, sind Investitionen und Partnerschaften mit anderen in der Nähe notwendig, auch in bisher vernachlässigten Regionen. Das Argument der Wettbewerbsfähigkeit bei den Preisen ist vor dem Hintergrund der Konkurrenz aus Fernost nachvollziehbar."

Deshalb sei die Änderung des eigenen Mindsets notwendig, um zu hinterfragen, welche Potenziale sich dabei noch verbergen. Kürzere Strecken würden zum Beispiel auch auf den Weg zur Klimaneutralität einzahlen und zudem künftig eine leichter umsetzbare Kreislaufwirtschaft ermöglichen.

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