Getränkelogistik: Pfandsystem unterstützt Getränkehersteller beim nachhaltigeren Ressourceneinsatz: Feierabendbier in Gefahr?

Wie die Rückführung von Leergutflaschen Bierhersteller auf Trab hält und wie Supply Chain Management das Feierabendbier retten kann.

Verschiedene Formen der Bierflaschen gestalten die Rückführlogistik des Leerguts zunehmend komplizierter. Bild: Suriyawut/AdobeStock
Verschiedene Formen der Bierflaschen gestalten die Rückführlogistik des Leerguts zunehmend komplizierter. Bild: Suriyawut/AdobeStock
Pool-System

Auch ohne die „Fridays for Future“-Demonstrationen: Ein bewussterer Umgang mit Ressourcen wird immer wichtiger für Unternehmen. Das zeigt auch ein zunehmender Regulierungsdruck, erkennbar an Regelwerken wie der Rückführungsrichtlinie zu Elektrogeräten oder den Abgasvorgaben der EU. Seit 2019 sind nun auch Getränkehersteller mittels der Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen zu einem nachhaltigeren Einsatz ihrer Ressourcen, zum Beispiel Flaschen, angehalten.

Das etablierte deutsche Pfandsystem kommt ihnen dabei zugute. Rückgrat des Systems ist eine (vermeintlich) ausgefeilte Logistik zur Rückführung, Reinigung und Wiederbefüllung der Behälter. Gerade das in Deutschland so beliebte Bier ist dabei übrigens Vorreiter beim Mehrweg – über 80 Prozent der hier genutzten Flaschen werden wiederverwendet.

Immer wieder wird jedoch auch deutlich, dass das System keineswegs fehlerfrei ist – gerade im Sommer stehen Kunden häufiger vor leeren Bierregalen. Das Feierabendbier ist also in Gefahr! Doch liegt das nicht, wie oft angenommen, am höheren Durst der Kunden oder Ernteausfällen beim Hopfen aufgrund der Hitze. Der Grund liegt im Fehlen der wichtigsten Verpackung: den Bierflaschen. Neue Verbrauchsgewohnheiten, verzögerte Rückführung von Leergut, komplexe oder fehlerhafte Sortierung haben zu massiven Komplikationen in der Abfüllung, teils sogar Produktionsstopps, geführt.

Trotz warmer Sommer verkaufen die weltweit berühmten deutschen Brauer nicht mehr, sondern Jahr für Jahr immer weniger Bier. Der Markt schrumpft, und die aufkommenden „Craft“-Brauereien verschärfen den Wettbewerbsdruck zusätzlich. Reagiert wird mit zwei Ansätzen: einerseits Effizienz durch schlankere Prozesse und Reduktion aller nicht zwingend erforderlichen Kosten. Andererseits durch stärkeres Marketing und Differenzierung. So versuchen die Unternehmen beispielsweise, sich durch die Individualisierung von Flaschen gegenüber dem Wettbewerb abzuheben. Doch genau mit diesem Spagat entstehen die Nachschubprobleme für die Pfandlogistik.

Standardisiert und flexibel

Lange Zeit gab es in Deutschland beziehungsweise Bayern nur einen – wegen seiner Farbe so genannten – „Ochsenblutkasten“ in Einheitsgröße mit den ebenfalls standardisierten Euroflaschen. Damit waren die für eine effiziente Logistik so wichtigen Skaleneffekte möglich, es stand ein beliebig großer Pool an Pfandbehältern zur Verfügung, landesweit standardisiert zu handhaben und flexibel zu disponieren.

Durch die Differenzierungsbestrebungen der Brauereien dagegen entstehen für das Supply Chain Management eine Reihe von Herausforderungen: exorbitant höhere Komplexität für die Sortierung durch die neuen Flaschenformen (gemischt in Kästen entstehen daraus dann sogenannte Zauberwürfel), gestiegener Zeitaufwand und Wartezeiten für die Sammlung und Rückführung der gleichen Flaschentypen, weitere Strecken in der Verteilung der gesammelten Flaschen beziehungsweise Kästen.

Die verhältnismäßig geringe Pfandhöhe einer Mehrwegflasche, zwischen acht und zwölf Cent, macht den hohen Sortieraufwand für die Brauereien dabei zunehmend unrentabel. Auch für Verbraucher sind Beträge dieser Höhe kaum eine Motivation zur gewissenhaften und schnellen Pfandrückführung. Wegen noch höherer Kosten werden jedoch ebenso Neuanschaffungen von Flaschen von den meisten Brauereien möglichst lange vermieden.

Die Sortierung der Pfandbehälter wird zwar sowieso von spezialisierten Dienstleistern übernommen. Doch diese spüren natürlich auch den hohen Kostendruck der Brauereien – und kalkulieren entsprechend knapp. Das wird gerade in Hoch(sommer)zeiten zum Problem: Die Dienstleister kommen nicht mit der erforderlichen Sortierung hinterher, zusätzliche Kapazitäten (Maschinen, Personal oder Schichten) werden aus Wirtschaftlichkeitserwägungen vermieden. So werden Kästen zunächst unsortiert eingelagert und somit dem Flaschenpool entzogen – statt sie schnellstmöglich wieder den Brauereien, und damit dem Biernachschub, zuzuführen. Die Brauer sehen sich wiederum gezwungen, durch kurzfristige Linderung zu reagieren: durch eigene, meist händische Sortierung.

Mit solchen Einzelinitiativen wird das Problem jedoch kaum nachhaltig gelöst. Die Supply-Chain-Forschung empfiehlt hier (eigentlich) einen intensiveren Austausch und stärkere Kooperation zwischen allen Beteiligten. Dem aktuellen offenen Pool-System jedoch mangelt es genau daran: Transparenz über Bestände, Absatzplanungen oder dem Bedarf an (Neu-)Flaschen. Zusätzlich fehlt eine koordinierende Einheit wie ein zentraler Pool-Manager oder zumindest ein starkes „Leitunternehmen“ als Impulsgeber eines „Closed Loop Pools“ im Sinne eines geschlossenen Kreislaufs. Dass dies funktioniert, zeigen branchenähnliche Beispiele wie bei „Deutsche Mineralbrunnen“.

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„Zauberwürfel“ verringern

Auch die stärkere Spezialisierung beziehungsweise Konsolidierung einzelner Akteure der Supply Chain, wie den Sortierdienstleistern, böte sich als Lösungsansatz an. In der Praxis hat sich jedoch erwiesen, dass der stark schwankende Konsum (im Winter gering, im Sommer hoch) die Investitionsneigung im sowieso schon harten Wettbewerbsumfeld massiv einbremst.

Ergänzend wäre die Reduzierung der Kombinationsmöglichkeiten aus Flaschen und Kästen, und somit die Anzahl der „Zauberwürfel“, zu mindern. Da von einzelnen Brauereien nur bedingt Einfluss auf die Anzahl von Flaschenformen und Individualisierung genommen werden kann, könnte ein Zusammenschluss der Brauer beim Design der Kästen hier Abhilfe schaffen. Ein generischer Kasten, wie früher der Ochsenblutkasten, führt dazu, dass dieser an unterschiedliche Brauereien geliefert werden und gleichzeitig die Sortierung spürbar vereinfachen kann.

Aktuell sind solche kollaborativen Ansätze im Brauereigewerbe allerdings nicht abzusehen. Der Fokus scheint eher auf einem Verdrängungswettbewerb zu liegen, in der Hoffnung, dass Konkurrenten schlicht früher aufgeben als man selbst. Ob das allerdings zielführend ist, darf bezweifelt werden. Einerseits, weil der Druck zu mehr Nachhaltigkeit in Zeiten des Klimawandels eher zuneh-men wird. Andererseits, weil Produktionsstopps (aus Flaschenmangel) und darauffolgende Lieferausfälle natürlich zum Gegenteil dessen führen – Umsatzausfälle und unzufriedene Abnehmer – , was in einem umkämpften Markt Erfolgversprechend ist.

Eines scheint gewiss: Die Kunden schätzen ihr Feierabendbier und tolerieren leere Regale zukünftig eher noch weniger. Die Rückführungslogistik durch mehr Kooperation und Koordination zu einer nachhaltigen, in sich geschlossenen Kreislauf-Supply-Chain zu machen ist somit ein Ansatz, der nicht nur in der Braubranche ein Erfolgsrezept sein könnte.me

Autoren: Prof. Dr. Florian C. Kleemann, Professor für Supply Chain Management an der Hochschule München (HM), und Ronja Frühbeis, selbstständige Unternehmensberaterin, Absolventin der HM.

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Seite 36 bis 37 | Rubrik PROZESSE