KI-Konzepte für Logistikintensität am Neusser Hafen: Die Masse macht’s

Mit sogenanntem Crowd Solving möchten Wissenschaftler der Hochschule Niederrhein die Verkehrsströme im Hafen Neuss neu ordnen. Dabei spielt künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle.

Die Hochschule Niederrhein hat ein neues Verkehrskonzept für den Neusser Hafen entworfen. Bild: Hafen Neuss
Die Hochschule Niederrhein hat ein neues Verkehrskonzept für den Neusser Hafen entworfen. Bild: Hafen Neuss
Sandra Lehmann
Künstliche Intelligenz

Der Neusser Hafen ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt am Niederrhein. Zentral gelegen kann er in der Fläche nicht wachsen. Daher werden intelligente Konzepte benötigt, um die steigende Logistikintensität in Zukunft bewältigen zu können. Studien der Hochschule Niederrhein haben diese Problematik näher analysiert: In Spitzenzeiten führen Lkw-Staus zu hohen Zeitverlusten; Zeitfenster zur Belieferung oder Abholung sind schwer kalkulierbar. Es gibt nur begrenzte Parkflächen für Lkw und Pkw. Die Hafenbahn kreuzt verschiedene Hafenstraßen und fährt nach keinem bestimmten Fahrplan, sondern nach Bedarf. Dies führe, auch wegen der Unvorhersehbarkeit, zu Staus an Bahnübergängen und längeren Haltezeiten. Eine ganzheitliche Koordination oder Abstimmung findet aus Sicht der Hochschule nicht oder bestenfalls bei Konflikten statt. Bei wachsender Wirtschaft könnten sich diese Probleme in Zukunft verschärfen. Effizienzverlust, steigende Kosten und eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit können die Folge sein.

Ausgangspunkt zur Verbesserung der Verkehrssituation ist der Ansatz, allen Akteuren im Hafen strukturierte und relevante Informationen zur Verfügung zu stellen. Das zugrundeliegende Konzept des sogenannten Crowd Solving dient dabei zur Zusammenführung, Aufbereitung und Bereitstellung logistikrelevanter Informationen für die Akteure.

Einbezogen werde dazu jeder Nutzer des Hafens, also zum Beispiel Pkw- und Lkw-Fahrer, Hafenmeister, Unternehmensmitarbeiter, Disponenten oder Besucher. Der Grundgedanke bestehe darin, dass jeder einzelne Akteur seine Aktivitäten an der verbesserten transparenten Informationslage selbstbestimmt ausrichten kann, womit die Verkehrsproblematik insgesamt nochmals verbessert wird. Dreh- und Angelpunkt ist somit die geeignete Informationsbereitstellung auf einer Informationsdrehscheibe.

Die Art der zur Verfügung gestellten Daten reichten von der aktuellen Verkehrssituation inklusive der Hafeneisenbahn und lokaler Verkehrsprognosen, der aktuellen Parkplatzsituation, der Luftqualität, Online-ÖPNV-Daten, der Hafen-Sicherheitslage inklusiver eventueller Warnlagen bis hin zu austauschbaren Informationen auf einem Schwarzen Brett. Lkw-Fahrer etwa können sich über die aktuelle Verkehrslage im Hafen selbst sowie der Umgebung informieren und sich die voraussichtlichen Reisezeiten anzeigen lassen. Hilfreich sei auch eine Information über Imbisse und Lkw-Parkplätze im Hafen. Bei Reparatur- oder Wartungsbedarf des Lkw können die nächstgelegenen Werkstätten auf der Karte leicht gefunden werden.

Zapfsäulen-Übersicht

Zum Tanken steht eine Übersicht von Zapfsäulen inklusive der Möglichkeit des Kraftstoff-Preisvergleichs zur Verfügung. Um zeitnah über Gefahren im Hafen informiert zu sein, ist es für die Nutzer zudem sinnvoll, sich über Warnlagen zu informieren oder diese als E-Mail-Benachrichtigung zu abonnieren. Sollte irgendein Mangel bei der Hafeninfrastruktur auffallen, kann man diesen durch die Verlinkung zum „Mängelmelder“ der zuständigen Stadt Neuss melden. Für Nutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln sind die Standorte der nächsten Bahnhöfe auf der Karte einzusehen sowie die dazugehörigen aktuellen Abfahrtszeiten der Bahn.

Die Analyse und Bewertung der Verkehrssituation betreffe dabei im Wesentlichen zwei Bereiche: den ruhenden und den fließenden Straßenverkehr. Zur Erfassung des ruhenden Verkehrs wurden im Neusser Hafen Parksensoren in den Parkbuchten einer Hafenstraße installiert. Hier galt es Beschädigungen des Straßenbelags zu vermeiden. So wurden die verwendeten Messfühler mit einem Spezialkleber auf den Straßenbelag geklebt.

Eine Dauerlösung kann dies jedoch aus Sicht der Projektverantwortlichen nicht sein. Denn: Die bisherigen Erfahrungswerte zeigen, dass die Verklebung sich nach einem Jahr bei einigen Sensoren wieder gelöst hat. Die Erkennungsgüte der Sensoren ist bei Pkw gut, bei Lkw und Aufliegern jedoch noch ausbaufähig. Auch kann es bei Pkw immer wieder vorkommen, dass diese in den dafür vorgesehenen Längsbuchten versetzt abgestellt werden und die Sensoren irrtümlich signalisieren, dass eigentlich besetzte Parkplätze nicht belegt sind.

Um die Situation für den fließenden Verkehr im Hafen darzustellen und zu bewerten, liegen aus den verfügbaren Quellen von Verkehrsdatenanbietern keine nutzbaren Daten vor. Somit musste eine eigene Lösung geschaffen werden. Diese besteht im Einsatz von eigenentwickelten KI-Kameras, die das Verkehrsgeschehen automatisch erkennen und analysieren können.

Trainierte Kamera

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Um datenschutzrechtliche Probleme zu vermeiden, werden die Kameradaten weder übertragen noch gespeichert, sondern unmittelbar von einem in der Kamera befindlichen Neuronalen Netz verarbeitet. Dieses wurde zuvor trainiert, um die relevanten Objekttypen wie beispielsweise Autos, Lkw und Züge erkennen zu können. Auf einer höheren algorithmischen Verarbeitungsebene werden diese Objekte bewertet, indem sie insbesondere gezählt sowie Orte und Geschwindigkeiten bestimmt werden. Die einzigen Informationen, die die Kamera verlassen, sind somit anonyme numerische Daten zur Verkehrslage.

Auf der Straßenkarte des Hafens werden die so ermittelten Verkehrsinformationen dargestellt. Damit kann man die Stausituation an der neuralgischen Kreuzung Tilsiter Straße/Floßhafenstraße, die Situation am Bahnübergang und die voraussichtliche Wartezeit für die Durchfahrt erkennen. Durch Analyse der statistischen Korrelationen zwischen qualifiziertem Zugeintritt in das Hafengebiet und Auswirkung auf die Bahnübergangskreuzung Floßhafenstraße/Tilsiter Straße werden Prognosen über zu erwartende Störungen des Straßenverkehrs möglich. Damit kann etwa das betroffene Werk des Hygienepapierherstellers Essity vorausschauend Maßnahmen zur Absicherung der Produktion und Logistik treffen.

Die Informationsdrehscheibe ist im Hafen Neuss bereits seit Längerem implementiert und nutzbar – Ende Mai 2020 kamen die KI-Kameras auf dem Hafengelände hinzu. sln

Autor: Ralf Kuron, Dozent an der Hochschule Niederrhein und Mitarbeiter am Institut für Geschäftsprozessmanagement und IT (GEMIT) der Hochschule Niederrhein.

Projekt und Partner

Ziel des Projektes „logistiCS.NRW | Crowd Solving – Intelligente Infrastrukturnutzung am Beispiel Neuss-Düsseldorfer Häfen“ ist es, die Verkehrssituation im Neusser Hafen zu verbessern und so eine Entspannung des Gesamtverkehrs im Umfeld des Hafens zu erreichen. Das Vorhaben der beiden Partner – TraffGo Road und das Institut für Geschäftsprozessmanagement und IT (GEMIT) der Hochschule Niederrhein – adressiert neben Innovationen für die Logistik zusätzlich auch soziale und ökologische Nachhaltigkeitsaspekte. Das Projekt wird im Zeitraum 2017 bis 2020 aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) im NRW-Leitmarkt Logistik gefördert.

GEMIT beschäftigt sich mit etablierten und zukunftsorientierten Themen aus den Bereichen Logistik, IT und Human Resources. Das Institut verknüpft aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit Lösungen aus der Praxis und unterstützt Unternehmen bei der Optimierung ihrer Geschäftsprozesse. Die TraffGo Road GmbH ist ein unabhängiges, inhabergeführtes Unternehmen mit Sitz in Krefeld. Seit seiner Gründung 2001 entwirft und entwickelt TraffGo Road im Umfeld von Landesverwaltungen und Kommunen IT-Konzepte und -Lösungen wie zum Beispiel Verkehrsinformationsportale und Handy-Parken.

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Artikel KI-Konzepte für Logistikintensität am Neusser Hafen: Die Masse macht’s
Seite 30 bis 31 | Rubrik PROZESSE