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EU-Konsumverhalten und Compliance: Online-Schlupflöcher schließen

Die EU-Marktüberwachungsverordnung soll verhindern, dass unsichere Produkte auf den europäischen Markt gelangen – und nimmt dabei vor allem Akteure des Onlinehandels in die Pflicht.

Fulfillment-Dienstleister im E-Commerce sind nach dem Verständnis der EU nun auch Wirtschaftsakteure. Bild: Sikov/AdobeStock
Fulfillment-Dienstleister im E-Commerce sind nach dem Verständnis der EU nun auch Wirtschaftsakteure. Bild: Sikov/AdobeStock
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Therese Meitinger
Compliance

Die Coronakrise hat das Konsumverhalten in der EU nachhaltig verändert: Mehr als 70 Prozent der Europäer kauften nach Angaben von Eurostat 2020 online ein. Doch mit dem E-Commerce boomte zuletzt auch das Geschäft mit gefälschten Produkten. So machten laut einer 2020 veröffentlichten Studie des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Fälschungen in den vergangenen Jahren durchschnittlich 6,8 Prozent der Einfuhren in die EU aus – das entspricht einem Gegenwert von rund 121 Milliarden Euro. Betroffen sind von Spielzeugen über Elektronikartikel bis hin zu Pestiziden alle Wirtschaftszweige, wobei in Coronazeiten vor allem die Verbreitung gefälschter Arzneimittel und medizinischer Produkte wie etwa persönlicher Schutzausrüstung in den Fokus geriet.

Fälschungen gibt es überall

„Durch die Zunahme von gefälschten Arzneimitteln und medizinischen Produkten, die die Gesundheit und Sicherheit der Bürger gefährden, hat die Covid-19-Pandemie das Problem der Kriminalität im Bereich plastisch vor Augen geführt“, so Christian Archambeau, Exekutivdirektor des EUIPO, in einem Statement gegenüber der Presse. „Dieses seit Langem bestehende Phänomen ist häufig mit anderen Arten illegaler Aktivitäten verknüpft, was ein dringendes, entschlossenes und koordiniertes Vorgehen erfordert.“ Die Verordnung (EU) 2019/1020, die gewöhnlich als EU-Marktüberwachungsverordnung (EU MÜ-VO) bezeichnet wird, könnte nun entscheidend auf eine Abwehrstrategie einzahlen. Schließlich soll sie verhindern, dass nicht EU-rechtskonforme, schädliche Produkte über den internationalen Onlinehandel auf den europäischen Markt gelangen – und bestehende Haftungslücken im E-Commerce schließen.

Die Regulierung, die zu großen Teilen am 16. Juli 2021 in Kraft tritt, erfasst nahezu alle Non-Food-Produkte. Neben Fragen der Produktsicherheit, die etwa die REACH-Verordnung, die RoHS-Richtlinie oder die CE-Kennzeichnung betreffen, sieht sie eine erweiterte Produzentenverantwortlichkeit für mehr Akteure als bisher vor. Die EU MÜ-VO baut dabei vor allem auf einer angepassten Definition der Begriffe „Wirtschaftsakteure“ und „Inverkehrbringen“ auf: Laut der Regulierung ist ein Produkt bereits dann „auf dem Markt bereitgestellt“, wenn es online oder über eine andere Form des Fernabsatzes angeboten wird und dabei Endnutzer in der Europäischen Union adressiert.

„Wirtschaftsakteure“ sind laut der EU MÜ-VO für die Konformität der in der EU befindlichen Ware verantwortlich. Neben Herstellern, Bevollmächtigten, Importeuren und Händlern zählen nun auch Fulfillment-Dienstleister dazu, die bisher nach Ansicht der EU von Lücken in der Gesetzgebung profitieren konnten. „Dabei ist zu beachten, dass laut der Verordnung nur als Fulfillment-Dienstleister gilt, wer mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen erfüllt: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand von Produkten, an denen sie keine Eigentumsrechte haben“, erläutert Alien Mulyk, Referentin Public Affairs (EU und International), des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh). Post- und Paketdienstleister sowie sonstige Post- und Frachtdienstleistungen seien jedoch von der Regelung ausgenommen. „Das heißt, es handelt sich im Grunde um eine Lex Amazon.“

Lex Amazon – oder nicht?

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Jedem in der EU offerierten Produkt muss laut der EU MÜ-VO ein in der EU niedergelassener Wirtschaftsakteur als Verantwortlicher zugeordnet sein. Er muss überprüfen, ob es eine EU-Konformitätsüberprüfung beziehungsweise Leistungserklärung sowie technische Unterlagen gibt und sie den Behörden zur Verfügung stellen können. Ein Detail fällt dabei besonders ins Gewicht: Übernimmt nicht bereits ein anderer Wirtschaftsakteur die Compliance-Pflichten aus der EU-Marktüberwachungsverordnung, fallen sie auf den Fulfillment-Dienstleister. „In der EU niedergelassene Fulfillment-Dienstleister müssen überprüfen, ob die Drittstaatenhändler, die ihre Dienste nutzen, für ihre Produkte einen in der EU niedergelassenen Hersteller, Importeur oder Bevollmächtigten haben“, erläutert Alien Mulyk die Konsequenzen für Fulfillment-Dienstleister. Nur so wüssten diese, ob sie für Compliance-Pflichten in die Verantwortung genommen werden können. „Sollte das der Fall sein, müssen sie dafür Sorge tragen, dass sie alle notwendigen Unterlagen parat haben. Gegebenenfalls müssen sie mit den Marktüberwachungsbehörden kooperieren und sie beispielsweise davon in Kenntnis setzen, wenn sie die begründete Annahme haben, dass ein Risiko vorliegen könnte.“

Wird ein Produkt als Gefährdung eingestuft, so können die Marktüberwachungsbehörden in den jeweiligen Ländern Wirtschaftsakteure auffordern, den Zustand der Gefährlichkeit binnen eines bestimmtenZeitraums zu beenden. Sind entsprechende Anpassungen nicht möglich, können die Behörden nicht nur die Auslieferung des Produkts unterbinden. Denkbar ist auch, dass das Produkt zurückgerufen sowie entsprechende Warnungen an die Öffentlichkeit ausgesprochen werden muss. Als letzter Schritt ist eine Zerstörung oder Unbrauchbarmachung des Produkts möglich.

Therese Meitinger

Nachgefragt bei Alien Mulyk, bevh - „Es bleibt abzuwarten, wie sich die Verordnung tatsächlich auswirkt“

Was kommt mit der EU-Marktüberwachungsverordnung auf Fulfillment-Dienstleister zu? LOGISTIK HEUTE hat bei Alien Mulyk, Referentin Public Affairs (EU und International) des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh), nachgefragt.

LOGISTIK▶HEUTE◀: Was ändert sich mit dem Inkrafttreten der EU MÜ-VO am 
16. Juli für den Onlinehandel in 
der Europäischen Union?

Alien Mulyk: Ziel ist es, die Konformität der auf dem EU-Markt befindlichen Ware mit der EU-Gesetzgebung zu gewährleisten. Das heißt, bestimmte Produktkategorien dürfen nur noch in der EU in Verkehr gebracht werden, wenn es entweder einen in der EU niedergelassenen Hersteller, Importeur oder einen vom Hersteller ernannten Bevollmächtigten gibt, der überprüft, ob die notwendigen Dokumente – die EU-Konformitätserklärung oder Leistungserklärung und die technischen Unterlagen – vorhanden sind und sie für die Marktüberwachungsbehörden bereithält und gegebenenfalls mit den Marktüberwachungsbehörden kooperiert. Sollte das nicht gegeben sein, so obliegt diese Aufgabe dem in der EU niedergelassenen Fulfillment-Dienstleister, sofern das Produkt von ihm abgefertigt wurde.

Welches Vorgehen empfehlen Sie Wirtschaftsakteuren im europäischen Onlinehandel, um sich für die Verordnung aufzustellen?

Unternehmen sollten überprüfen, ob sie selbst als ein für ein Produkt in der EU niedergelassener Hersteller, Importeur oder Bevollmächtigter gelten und somit den genannten Verpflichtungen nachkommen müssen. Oder ob einem diese Pflichten zufallen, weil man diese Produkte als Fulfillment-Dienstleister abfertigt.

Wie beurteilt der bevh die EU-Marktüberwachungsverordnung?

Wir begrüßen es, wenn bei der Marktkonformität von Produkten und Händlern ein LevelPlayingField hergestellt wird. Es bleibt aber abzuwarten, wie sich die Verordnung im Detail tatsächlich auf die Konformität von Produkten auswirkt. Wo ein Wille ist, ist immer auch ein Weg die neuen Regeln zu umgehen. Sinnvoll wäre es daher, die Regeln von personell und finanziell besser ausgestatteten Marktüberwachungsbehörden umsetzen zu lassen.

Die Fragen stellte Therese Meitinger.

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Artikel EU-Konsumverhalten und Compliance: Online-Schlupflöcher schließen
Seite 30 bis 31 | Rubrik PROZESSE
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