Erfolgsfaktoren für die nächste Dekade: Produktionslogistik: Industrie 4.0 im Stresstest

Der Druck in der Produktionslogistik ist aktuell groß. Wie sich der Bereich krisenfest für die Zukunft aufstellen lässt, nahm ein LOGISTIK HEUTE-Forum zum Thema.

Das LOGISTIK HEUTE-Forum Produktionslogistik fand am 22. September statt. Bild: panuwat / AdobeStock
Das LOGISTIK HEUTE-Forum Produktionslogistik fand am 22. September statt. Bild: panuwat / AdobeStock
Therese Meitinger
Online-Seminar

Lieferkettenturbulenzen im Zuge der Coronapandemie und Knappheiten bei Rohstoffen wie Vorprodukten haben der Produktionslogistik zuletzt zu schaffen gemacht. Mit welchen Mitteln sich Unternehmen für eine anspruchsvolle Zukunft robust aufstellen können, erkundete am 22. September dasLOGISTIK HEUTE-Forum unter dem Motto „Herausforderungen der Produktionslogistik stemmen – so gelingt die nächste Dekade“. „Braucht es hier künftig nur Robotik, Automatisierung und Netzwerken – oder gibt es auch andere Erfolgsfaktoren?“, fragte Moderatorin und LOGISTIK HEUTE-Redakteurin Sandra Lehmann zu Beginn der Veranstaltung, die online stattfand.

Matthias Hülsmann, Vice President Source-to-Deliver – Material Flow bei Robert Bosch, gab in seinem Vortrag Einblicke in die „Inbound-Standardisierung für Procure-to-Purchase-Automation“. Von den rund 72 Milliarden Euro Umsatz, den das Unternehmen zuletzt erzielte, fließen etwa 35 Milliarden in den Einkauf – Bosch-weit besteht ein arbeitstäglicher Bedarf von 300 Millionen Komponenten und Teilen. „Die Vernetzung der Produktion mit dem Einkauf ist dringend nötig, denn der Inbound ist das teuerste Stück der Supply Chain“, erläuterte Hülsmann. Automatisierung könne dabei erhebliche Kostenpotenziale heben. Bei Bosch entwickelte man für das Onboarding einen End-to-End-Ansatz, der unter anderem auf definierten Standards, vereinfachten Schnittstellen für Key Accounts und einem Managed Service zum manuellen Transaktionsdatentransfer aufsetzte.

Gute Daten für Wertschöpfung

„Die digitale Transformation bei Neuman & Esser“ nahm Jens Wulff, Geschäftsführer operatives Geschäft der Neuman & Esser Group, in den Fokus. Der mittelständische Spezialist für Kolbenverdichterlösungen hatte sich viel vorgenommen, als er sich ab 2018 daranmachte, das Advanced Planning System „Felios“ des Softwareanbieters Inform einzuführen. „Wir wollten weg von der Religion, hin zur datenbasierten Wissenschaft“, beschrieb Wulff. „Im Kern der Wertschöpfung – der Logistik und Produktion – braucht man gute, zuverlässige Daten.“ Doch zu den Learnings aus dem Digitalisierungsprozess zählt für ihn auch, dass Herausforderungen nicht unbedingt technischer Natur sein müssen. Widerstand gegen Wandel sei menschlich, deswegen habe man in dem traditionellen Familienunternehmen viel Wert darauf gelegt, die Perspektive von Mitarbeitern einzubinden und sie zu „Mittätern“ zu machen.

Bei Marko Kübler, Senior Specialist Internationale Logistik, und Manuel Müller, Team Leader SCM Logistics, beide bei Würth Elektronik eiSos, ging es um „Transparenz in der Beschaffungskette“. Kübler und Müller berichteten direkt von der „Supply-Chain-Front“: Wie wirken sich Verspätungen auf Planungshorizonte und die Prozesse im Lager aus? Wo liegen die Grenzen von Zeitpuffern? „Wenn die Lagerzeit zwischen der Anlieferung und dem Wunschtermin beim Kunden durch Schiffsverspätungen von zwei Wochen auf zwei Tage schrumpft, können wir das durch manuelle Prozesse noch auffangen“, so Kübler. „Bei der Häufigkeit kurzfristiger Verspätungen etwa durch Bahnstreiks wurde es zuletzt kritisch“, sagte Müller. Würth eiSos glaubt, dass Verspätungen sich in der aktuellen Risikolandschaft kaum mehr vermeiden lassen. Das Unternehmen setzt deswegen auf weitgehende Transparenz entlang der Lieferkette und auf das frühzeitige Einbeziehen der Kunden.

Der Blick auf eine zunehmend digitale, aber auch unsichere Zukunft stand im Mittelpunkt einer von Sandra Lehmann moderierten Diskussionsrunde. Über aktuelle Pain Points in seinem Kundenkreis berichtete Rüdiger Stauch, Prokurist/Leiter Vertrieb bei PSI Logistics: „Die Herausforderungen liegen darin, die Abhängigkeiten in der Lieferkette zu reduzieren und Alternativen zu finden. Oft fehlt noch die Transparenz – das betrifft auch die eigene Intralogistik.“ Hier gelte es beim Status quo anzusetzen.

Dass kleine und mittlere Unternehmen einen eigenen Beratungsansatz in Sachen Digitalisierung brauchen, sah Markus Külken, Vice President Product Line Material Flow bei SSI Schäfer, skeptisch. „Die Reise ist die gleiche“, sagte er in der Diskussionsrunde. „Hier wie dort gilt es die Lieferkette innerbetrieblich zu unterstützen, Personen einzubinden und die Standardisierung der Prozesse vorzudenken.“ Das könne den Einstieg in die Digitalisierung erheblich beschleunigen. Produktseitig gibt es laut Külken einen Trend zum schnellen Einstieg in die Automatisierung durch semi-automatisierte Logistiksysteme.

Johannes H. Schirmer, Business Development Manager Industrial bei BLG Industrielogistik, berichtete in der Diskussionsrunde aus dem unternehmenseigenen Innovationslabor, das eine Vielzahl von Technologien zunächst in 100-Tage-Projekten auf ihre Eignung für eine konkrete Intralogistikaufgabe untersucht. Bestehen sie den Test, wird in Sechs-Monats-Sprints eine Anwendung entwickelt. „Wichtig für die Akzeptanz im Unternehmen ist, dass das 100-Tage-Projekt in eine Digitalisierungs-Roadmap eingebunden ist“, erläuterte Schirmer.

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Dass der Faktor Mensch und sein Mindset in Digitalisierungsprojekte integriert werden müssen, betonte Jens Fath, Partner bei PwC Deutschland, Digital Operations & Smart Manufacturing. „Man sollte immer von dem konkreten Fall ausgehen und weniger in ambitionierten Leuchtturmprojekten denken – denn der Leuchtturm verliert schnell die Integration, wenn die Vision nicht in die Gesamtarchitektur eingebunden ist“, sagte Fath in der Diskussionsrunde.

Vollautomatisches Material

„Autonom vom Lager bis zur Linie“ hieß es in der Präsentation von Benjamin Sommer, Head of Sales & Marketing bei Magazino, und Patric Brucker, Fertigungsplaner bei Vega Grieshaber. Beide berichteten von den Digitalisierungsplänen des Messtechnikspezialisten Vega Grieshaber– und der Rolle, die Magazinos mobiler Roboter „SOTO“ in diesem Szenario spielen soll. „Wir planen, unsere Produktion vollautomatisch mit Material zu versorgen. Die Trennung von Produktion und Logistik soll dabei aufgehoben werden“, schilderte Brucker. An die Stelle der Werkbank soll künftig eine Linie treten. Manuelle Lager sollen in ein automatisches überführt werden. Und die auf drei Ebenen verteilte Produktion in Schiltach soll statt mit Regalwägen über den Kommissionierroboter SOTO versorgt werden. „SOTO eignet sich dafür, weil er mittels technischer Features wie dem Regaladapter und Backpack einen Routenzug nachbilden und vollautomatisch Material aufnehmen kann“, so Sommer.

„Am besten steht der Service im Vordergrund und nicht das Produkt“, sagte Dr. Nadja Hoßbach, Abteilungsleiterin Innovation und Transformation am Fraunhofer IIS, mit Blick auf Digitalisierungsprojekte. Sie berichtete zusammen mit Jochen Seitz, Gruppenleiter Hybrid Positioning & Information Fusion, von einem Großprojekt des Instituts, das sich mit der Auswahl von Industrie-4.0-Technologien für die Zwecke von kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigte. Während Hoßbach die strategische Ebene der Transformation vom produkt- und datengetriebenen Unternehmen beleuchtete, nahm Seitz konkrete technische Anwendungen wie ein Ad-hoc-Lokalisierungssystem auf Ultrabreitband-Basis in den Fokus. „Alles bewegt sich“, umschrieb er eine Herausforderung in der Ortung. „Technologien, die in Bewegung sind, stellen unterschiedliche Anforderungen an etwa Genauigkeit und Latenz.“

Therese Meitinger

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Seite 54 bis 55 | Rubrik PROGNOSEN