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Der Tiernahrungshändler Fressnapf setzt an seinen Logistikstandorten Feuchtwangen und Krefeld auf die Sprachassistentin „Lydia“ von Topsystem.
Die Fressnapf-Logistikmitarbeiter erhalten Unterstützung durch ein sprachgeführtes Kommissioniersystem. Bild: Fressnapf
24. Juni 2019, 09:25 Uhr
Matthias Pieringer
Pick-by-Voice
Was 1990 mit einem Markt im nordrhein-westfälischen Erkelenz begann, ist heute eine europäische Fachhandelskette für Tiernahrung und -zubehör: die Fressnapf-Gruppe. In rund 1.500 Märkten in elf Ländern finden Tierliebhaber von Dänemark bis Italien ein breites Sortiment rund um Hund, Katze & Co.
Die Belieferung sämtlicher Fressnapf-Filialen sowie der Endkunden erfolgt von fünf nationalen Standorten mit einer Gesamtfläche von 143.000 Quadratmetern aus. Zwei dieser Lager betreibt die Fressnapf-Gruppe in Eigenregie: das 60.000 Quadratmeter große Logistikzentrum in Krefeld und das Regionallager Feuchtwangen mit 20.000 Quadratmeter Fläche. Beide Standorte verfügen über einen Großteilebereich, in dem manuell kommissioniert wird. In Feuchtwangen lagern dort rund 2.500 Schnelldreher, in Krefeld etwa 8.000 Artikel.
Grenzen bei Picklisten
Fressnapf kommissionierte seit Anfang 2006 mithilfe elektronischer Picklisten (EPL). Diese wurden auf einem Monitor bereitgestellt, der direkt am Flurförderzeug angebracht war. „Die grafische Oberfläche haben wir damals in Eigenregie entwickelt und an unsere individuellen Bedürfnisse angepasst. Besonderes Augenmerk haben wir dabei auf Übersichtlichkeit und eine einfache Bedienung gelegt. Dadurch haben wir die Pickleistung um 15 Prozent gesteigert und die Fehlerquote um 20 Prozent gesenkt“, berichtet Gerhard Kunkel, Leiter Outbound-Logistik bei Fressnapf. Allerdings waren dem Optimierungspotenzial der elektronischen Picklisten und damit auch weiteren Effizienzsteigerungen Grenzen gesetzt.
Da die Fressnapf-Gruppe den Anspruch hat, die internen Prozesse stets kritisch zu hinterfragen und kontinuierlich zu verbessern, suchte das Unternehmen nach einem noch effizienteren System für die manuelle Kommissionierung. „Um mit dem weiteren Unternehmenswachstum und den zunehmenden Kundenbestellungen Schritt zu halten, benötigten wir eine neue Lösung, die die Produktivität steigert und gleichzeitig flexibel sowie ohne lange Anlernzeit einsetzbar ist“, fasst Kunkel die Zielsetzung zusammen.
Die Fressnapf-Gruppe testete Systeme für den manuellen Kommissionierbetrieb wie Pick-by-Light und Pick-by-Voice sowie den Einsatz von Pick-by-Vision-Datenbrillen auf ihre potenzielle Einsatztauglichkeit hinsichtlich des zuvor definierten Anforderungsprofils. „Wir haben für jedes der ausgewählten Systeme identische Testaufträge erstellt und diese von verschiedenen Mitarbeitern unter praxisnahen Bedingungen kommissionieren lassen. Anhand vorab definierter Kriterien haben wir die Systeme anschließend bewertet“, erklärt der Fressnapf-Experte. Auf diese Weise erhielt Fressnapf konkretes Zahlenmaterial wie Leistungswerte und Fehlerquoten. Diese Vorgehensweise ermöglichte einen objektiven Performance-Vergleich der unterschiedlichen Kommissionierlösungen.
Das Ergebnis stellte für Gerhard Kunkel eine echte Überraschung dar: „Für mich stand eigentlich von Anfang an fest, dass wir eine Pick-by-Vision-Lösung einführen, da ich dieses System als besonders effektiv und zukunftsfähig eingeschätzt hatte.“ Im Testeinsatz zeigte sich für Fressnapf dann allerdings, dass die aktuell intensiv beworbene Technologie die gewünschten Leistungsdaten nicht erreicht. Im Vergleich zu anderen Lösungen schnitt Pick-by-Vision etwa in den Bereichen Arbeitssicherheit und Dauer der Energieversorgung schwächer ab.
Weil Fressnapf großen Wert auf die Meinung der Mitarbeiter legt, wurden ausgewählte Kommissionierer aktiv ins Auswahlverfahren eingebunden. „Von beteiligten Mitarbeitern habe ich die Rückmeldung erhalten, dass sich mit den Datenbrillen nicht die gewünschte Produktivitätssteigerung im Pickingprozess erreichen lässt“, sagt Kunkel. Ein weiterer Kritikpunkt bezog sich auf die Ergonomie. „Der Einsatz von Datenbrillen über mehrere Stunden strapaziert durch den kontinuierlichen Wechsel zwischen physischer Lagerumgebung und virtueller Information insbesondere die Augen“, ergänzt der Logistikfachmann.
Statt des anfangs favorisierten Pick-by-Vision-Verfahrens setzte sich im Praxistest ein anderes System gegen die Konkurrenz durch. „Pick-by-Voice stellte sich in den Tests als das am besten zu unseren Anforderungen passende System heraus. Wir haben uns letztendlich für Topsystem als Lösungsanbieter entschieden, da Lydia kein Sprachtraining der Mitarbeiter erfordert und erstklassige Ergebnisse in der Spracherkennung liefert, was wiederum für einen schnellen Arbeitsfluss und größte Akzeptanz bei den Mitarbeitern sorgt“, sagt Gerhard Kunkel.
„Lydia“ von der Topsystem Systemhaus GmbH aus Würselen überzeugte durch eine intuitive Bedienung sowie einen leicht einprägbaren Sprachdialog, den alle Lagermitarbeiter unabhängig von ihrer Muttersprache schnell erlernen können. Dadurch können die Kommissionierer innerhalb kürzester Zeit mit dem System produktiv arbeiten. Ein weiterer Pluspunkt: Für ergonomische Arbeitsbedingungen haben die Mitarbeiter die Wahl zwischen einem Headset und der Kommissionierweste „Lydia VoiceWear“. In Feuchtwangen und Krefeld wurde die Pick-by-Voice-Lösung vollständig im Jahr 2018 installiert. Inzwischen arbeiten in den beiden Großteilebereichen zusammengenommen rund 360 Kommissionierer mit Lydia Voice. Das System leitet die Mitarbeiter wegeoptimiert durchs Lager, nennt den Palettenstellplatz und die Zahl der Einheiten, die entnommen werden müssen. Der Kommissionierer legt die Ware dann nur noch auf den entsprechenden Ladungsträger, etwa auf eine Palette oder in eine Box.
Produktivität erhöht
Seit der Einführung von Lydia Voice verzeichnet die Fressnapf-Gruppe an beiden Lagerstandorten eine weitere Produktivitätssteigerung um rund zehn Prozent. Die Anzahl der Picks hat sich von 190 auf 205 Kolli pro Stunde verbessert. „Eine solch positive Entwicklung der Leistungsfähigkeit hatten wir in dieser Höhe nicht erwartet“, so Gerhard Kunkel. Zudem hat sich seit dem Einsatz von Lydia die Fehlerquote um fast 50 Prozent auf nur noch 0,2 Prozent erheblich reduziert. Verantwortlich dafür ist unter anderem das Hands-free-/Eyes-free-Konzept, das die volle Konzentration auf den Pickprozess ermöglicht. „Durch den Einsatz von Lydia konnten wir darüber hinaus die Anzahl von Arbeitsunfällen verringern, da die Mitarbeiter fokussierter arbeiten und nicht mehr durch den Blick auf die Pickliste abgelenkt sind“, sagt der Fressnapf-Experte.
Aktuell plant die Fressnapf-Gruppe ein neues Projekt mit Topsystem, um weitere Prozessoptimierungen zu erzielen: So wollen beide Unternehmen künftig beim Thema „Workforce Management“ intensiv zusammenarbeiten. mp
Fressnapf
Die Fressnapf-Gruppe, Händler für Heimtierbedarf, hat im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 2,1 Milliarden Euro erzielt. Zur Unternehmensgruppe zählen heute mehr als 1.500 Fachmärkte in elf europäischen Ländern (dort meist unter dem Namen Maxi Zoo) und mehr als 12.000 Beschäftigte. Die Unternehmenszentrale befindet sich in Krefeld.