Problem Based Learning (PBL) in der Logistikausbildung

Redaktion (allg.)

“Pünktlich, flexibel, schlank und immer ausgeglichen…”, so steht es im Abschlussbericht zu einem Audit, das vor einer Woche durchgeführt wurde. Die Auditoren haben damit die Produktion gemeint, die Norbert Zlabinger vor knapp 30 Jahren zusammen mit seinem Produktionsleiter Herbert Wiedemann nach dem klassischen Werkstattprinzip aufgebaut hat. Zlabinger bittet Wiedemann deshalb um eine Unterredung, in die wir uns jetzt einblenden:

„Servus Herbert, schade, dass Du erst heute wieder aus dem Kururlaub zurück bist. Es gibt in dem Abschlussbericht ziemlich interessante Aspekte zu unserem Produktionsmanagement. Angeblich gibt es noch massenweise Verschwendung innerhalb Deiner Fertigung. Durchlaufzeiten und WIP-Bestände seien viel zu hoch, und bei Rüstzeiten könne auch noch erheblich optimiert werden. Es gäbe wohl vergleichbare Betriebe, die in entsprechenden SMED-Workshops die Rüstzeiten drastisch reduziert hätten und nun angeblich mit kleineren Losgrößen fahren. Mir ist das zwar nicht klar, da ich in der eingesparten Zeit mehr produzieren würde, aber Du kannst das ja mal alles untersuchen. Es soll ja auch eine Formel für die optimale Losgröße geben.“

So, oder so ähnlich könnte der Einstieg in eine Problem-Based-Learning (PBL)-Session im Rahmen der Logistik-Ausbildung an der FH Vorarlberg erfolgen. Ein konkretes logistisches Fallbeispiel, oder wie hier ein konstruiertes Szenarium aus dem Bereich Produktionslogistik in einem fiktiven Kontext, ist die Basis, mit dem sich die Studierenden in ein neues Themengebiet einarbeiten.

Was versteht man unter PBL?

Problem Based Learning ist eine Lernmethode, die bereits in den 60er-Jahren in der medizinischen Ausbildung an der McMaster University in Kanada etabliert wurde und seither auch in anderen Wissensgebieten Anwendung findet.

Es handelt sich um einen inzwischen international verbreiteten, elaborierten und empirisch umfangreich überprüften Ansatz zur innovativen Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen in Schulen und Hochschulen sowie in der Aus- und Weiterbildung.

Gestützt auf konstruktivistisch geprägte Annahmen zum Lernen und Lehren geht es darum, anhand komplexer und realistischer Problemstellungen systematisch in die Denk- und Arbeitsweise von Experten einzuführen. Das Ziel ist die Verknüpfung eines transferfähigen Wissenserwerbs und die Herausbildung allgemeiner und fachspezifischer Problemlösungskompetenzen und Lerntechniken.

Die Integration von PBL in die Logistikausbildung an der FH Vorarlberg ist im Wesentlichen an das „Siebensprung“-Konzept der Universität Maastricht (NL) angelehnt, die diese aktive und kooperative Methode für den Kleingruppenunterricht seit 1974 flächendeckend einsetzt.

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Rahmenbedingungen für den Einsatz von Problem Based Learning sind Unterrichtsgruppen von 8 bis maximal 15 Teilnehmern, je ein Gesprächsleiter und Protokollführer, die sich aus der Gruppe rekrutieren, sowie ein Tutor, im Regelfall der Hochschullehrer, der zunächst als „Architekt“ das Course-Book erstellt, die Gruppe betreut, den Lernprozess fördert und als Experte die Ergebnisse kontrolliert.
Mit der „Siebensprung-Problemlösungsmethode“ (7 steps, 7 jumps) wird die eigentliche PBL-Session (die im Regelfall ca. 2 Stunden dauert) klar gegliedert, um insbesondere Anfänger effektiv in diese Lernform einzuführen.
Dabei wird zwischen dem „Study-Task“, der die eigentliche Basis für die PBL-Session darstellt und dazu dient, sich in ein neues Themengebiet einzuarbeiten, und einem zusätzlichen „Problem-Task“, an dem das erlernte Wissen exemplarisch vertieft oder angewendet wird (z.B. Berechnung von konkreten Losgrößen), unterschieden.
Basierend auf dem Study-Task (Beispiel siehe Textanfang), der den Studierenden zu Beginn einer PBL-Session ausgehändigt wird, beginnt im Step 1 die Informationsaufnahme und das Klären von noch unbekannten Begriffen (also im obigen Beispiel WIP, SMED, Rüstzeiten etc.).
Im nächsten Schritt geht es darum, den Hauptaspekt oder das Hauptproblem mit einem Satz oder einer Fragestellung zu erfassen („Worum geht’s hier eigentlich?“ – „Wo liegt das Hauptproblem ?“ z.B. unzureichende Produktionsorganisation) und diesen Hauptaspekt in Teilaspekte zu gliedern (z.B. Fertigungsprinzipien hinterfragen, Verschwendung zu hoch, Bestände und Durchlaufzeiten zu hoch, Rüstzeiten verbessern, Losgrößen optimieren etc.).
Im dritten Schritt geht es um das freie Assoziieren, um die Sammlung von Ideen und Perspektiven sowie um das Aktivieren und Vernetzen des Vorwissens („ich habe einmal gelesen, dass Durchlaufzeiten und Bestände etwas miteinander zu tun haben“, „könnte es sein, dass hohe Bestände und hohe Durchlaufzeiten etwas mit Verschwendung zu tun haben ?“).

 

Im Schritt 4 versucht man dann die verschiedenen Ideen, Hypothesen und Lösungsansätze zusammenzufassen, systematisch zu ordnen und zu gewichten.
Letzte Unklarheiten und offene Fragen werden aufgezeigt. Der Tutor hat hier die Möglichkeit, durch entsprechende Fragestellung („haben Sie eigentlich auch schon einmal daran gedacht, ob man eine Verbindung zwischen dem Boxenstop in der Formel1 und den Umrüstvorgängen in der Produktion herstellen kann?“) noch andere Sichtweisen und Perspektiven mit einzubringen, falls erforderlich.

Schließlich überprüft man noch fehlende Wissenslücken („was müssen wir noch wissen, um Fragen zum Thema Losgrößenbildung umfassend beantworten zu können?“), um dann im Step 5 aus diesen Wissenslücken und problematischen Punkten (Themenspeicher), die im Verlauf der Diskussionsphase gesammelt wurden, die eng gefassten Lernziele zu formulieren (z.B. Verschwendung im Produktionsprozess aufzeigen können, Maßnahmen zu Rüstzeitreduzierung beschreiben etc.).

Alle Lernziele werden gemeinsam verabschiedet und im Protokoll festgehalten.Der Tutor kann bei Bedarf diese Lernziele noch ergänzen, falls die Gruppe ausbildungsrelevante oder fachliche Aspekte nicht berücksichtigt hat.Diese Lernziele sind die Grundlage für das anschließende Selbststudium im Schritt 6. Die Studierenden erschließen sich in Einzelarbeit die Quellen für das benötigte Wissen. Es empfiehlt sich, speziell bei Studienanfängern, Hinweise auf Primärquellen den jeweiligen Problemfällen zuzuordnen, da die Kompetenz für eine gezielte Informationsbeschaffung erst ausgeprägt werden muss.

Die Bearbeitung und Lösung des Problem-Task ist ebenfalls Inhalt des Selbststudiums, wobei hier auch im Lernteam gearbeitet werden kann.
Nach dem Selbststudium wird eine PBL-Session schließlich mit dem letzten, dem siebten Schritt abgeschlossen. Es empfiehlt sich, den Studierenden ausreichend Zeit für das Selbststudium einzuräumen, d.h. es sollten mindestens zwei Tage Abstand zwischen Schritt 6 und Schritt 7 angesetzt werden.

Schritt 7 wird als Synthese und Auflösung bezeichnet, hier wird erarbeitetes und verstandenes Wissen zusammengetragen. Die formulierten Lernziele werden gemeinsam bearbeitet, in dem jeder Teilnehmer seine gefundenen Ansätze unter Hinweis der Quellen nennt oder andere Ansätze ergänzt.

Lernstoff, der nicht verstanden wurde, kann gemeinsam mit dem Tutor besprochen werden. Der Tutor hat hier darüber hinaus die Möglichkeit, sein Experten- und Praxiswissen einzubringen, um das Themengebiet abzurunden. Die Ergebnisse zum Problem-Task werden ebenfalls besprochen und durch einen Studierenden präsentiert.

PBL im Logistik-Ausbildungskonzept

Die Methode PBL wurde vor rund vier Jahren in das bereits bestehende Logistik-Ausbildungskonzept der FH Vorarlberg integriert und trägt zusammen mit praxisnahen Expertenvorträgen, Logistik-Planspielen, Exkursionen und Logistik-Projekten in Unternehmen zur didaktischen Vielfalt in der Ausbildung bei.

So wurden inzwischen bei fast allen Logistikveranstaltungen in den Bachelor-Studiengängen Betriebswirtschaft, Wirtschaftsingenieurwesen, Mechatronik und Informatik der Anteil der klassischen Frontal-Vorlesungen zugunsten von PBL-Sessions auf ein Minimum reduziert.

Ausgenommen davon sind Expertenvorträge mit Spezialisten aus der betrieblichen Praxis oder aus dem wissenschaftlichen Umfeld. Aussagen von Studenten bestätigen, dass mit entsprechender Vorbereitung durch problemorientiertes Lernen der Input von Fachwissen besser vernetzt werden kann und somit "mehr hängen bleibt, da der Boden bereitet ist".

Mit der Einführung von Problem Based Learning verfolgt die FH Vorarlberg neben einer Ausstattung mit Fachkompetenz im Bereich Logistik auch folgende Ziele, die im Berufsleben stark gefragt sind:

  • Problemlösungskompetenz – wie gehe ich ein Problem an?
  • Handlungskompetenz – was ist als nächstes zu tun?
  • Selbstlernkompetenz – welches Wissen fehlt mir noch?
  • Informationsbeschaffungskompetenz – wo finde ich die Informationen?
  • Argumentationskompetenz – wie erkläre ich meine Lösung?
  • Soziale Kompetenz – wie leite ich eine Gruppe, wie diskutiere ich?

In den Curricula sind daher die Logistik-Veranstaltungen häufig mit denen der Methoden- und Sozialkompetenz vernetzt, um sinnvolle Synergie-Effekte zu erzielen.

Es gibt viel zu tun

Von den Studierenden wird die PBL-Methode in der Mehrzahl positiv aufgenommen und insbesondere in den berufsbegleitenden Studiengängen sehr begrüßt, da sie der beruflichen Wirklichkeit, wo es oft nur Probleme, selten Lösungen und schon gar keine vorgefertigten Skripte gibt, sehr nahe kommt.
Allerdings wird der Aufwand in den Anfangsphasen von PBL von den Studierenden als ziemlich hoch eingeschätzt, da insbesondere die Kompetenzen des Selbstlernens und der Informationsbeschaffung zu diesem Zeitpunkt noch nicht stark ausgeprägt sind.

Das ändert sich allerdings schon nach den ersten Sitzungen und die Studierenden räumen dann auch am Ende des Semesters ein, dass sie in Summe nicht mehr Aufwand treiben müssen, da eine aufwändige Prüfungsvorbereitung in der Regel entfällt. Die Leistungsbeurteilung im PBL-Modell erfolgt zweistufig:

Während der Sitzungen werden Engagementpunkte (Vorbereitung, Mitarbeit) durch den Tutor vergeben, am Ende des Semesters erfolgt eine schriftliche Prüfung, basierend auf den gemeinsam formulierten Lernzielen.

Gesprächsleiter und Protokollführer klagen anfänglich ebenfalls über eine Mehrbelastung, da eine Sitzung vorbereitet und nachbereitet werden muss. Für den Hochschullehrer (Tutor) ist die Vorbereitung einer PBL-Einheit zunächst mit einigem Aufwand verbunden, vor allem als Einsteiger in diese Methode. Als Experte hat er die Aufgabe, aus der Fülle des Stoffes das Wesentliche und Exemplarische herauszufinden und in praxisnahen Problemschilderungen oder Fallstudien den Zugang zu den fachlichen Themengebieten zu ermöglichen.

Ergebnis ist das sogenannte Course-Book, das neben den „allgemeinen Geschäftsbedingungen“ (Leistungsbeurteilung, Anwesenheitszeiten, Gruppeneinteilung, Primärliteratur) den fachlich-methodischen Teil enthält, also Kontext, Studytasks, Problemtasks, Begriffe und natürlich die gewünschten Lernziele.

Wie geht’s weiter?

Nach den bisherigen Erfolgen mit dieser aktiven Lernmethode ist von der FH Vorarlberg diese als ein fester Bestandteil sowohl im Logistik-Ausbildungskonzept als auch in anderen Wissensgebieten vorgesehen.

Das klassische Modell des „7-Sprungs“ wird jetzt schon ergänzt um weitere Facetten aus dem Bereich des selbstorganisierten Lernens.nGerade an einer Fachhochschule ist es wichtig, dass ein Lernumfeld angeboten wird, wo Lernen zu Wissen führt, das im beruflichen Alltag angewendet werden kann. Wissen, das selbstständig erarbeitet statt von Lehrenden präsentiert wird, bleibt als Erkenntnis gespeichert. Erkenntnis ist handlungswirksam, wenn sie mit eigenem Wissen, den eigenen Erfahrungen und Theorien genügend verknüpft und verdichtet wurde.

Die FH Vorarlberg will ihren Studierenden sowohl logistische Fachkompetenz als auch Spaß an der Logistik vermitteln – mit der Integration der Methode des Problem Based Learning in das Ausbildungskonzept ist die Fachhochschule ihren Vorstellungen einen großen Schritt näher gekommen.

Erfahrungsbericht der Fachhochschule Vorarlberg, Dornbirn/A.

Autor/Fotos: Prof.(FH) Gunter Olsowski, FH Vorarlberg, Hochschullehrer für Logistik und
Studiengangsleiter Wirtschaftsingenieurwesen, www.fhv.at.

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