Verbände & Verbandsnews
Finden Sie hier die wichtigsten Verbände und Interessengruppen für den Wirtschaftsbereich Logistik mit den entsprechenden aktuellen Inhalten von LOGISTIK HEUTE.
In Logistik Heute 12/2003 beschäftigt sich der Artikel "Keine Stammplatzgarantie" von Prof. Dr. Christian Scholz, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation, Personal- und Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, mit dem Arbeitsmarkt Logistik.
Karriere in der Logistikbranche
Die Arbeitswelt unterliegt gegenwärtig bemerkenswerten Veränderungen. Egal, ob man dies an Schlagworten wie Globalisierung, Rezession, Kostendruck oder Verdrängungswettbewerb festmacht: Die Spielregeln ändern sich sowohl für Unternehmen als auch für Mitarbeiter. Allerdings sind die einzelnen Branchen davon in unterschiedlichem Ausmaß betroffen und entwickeln teilweise ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Dies muss jeder Einzelne erkennen und für sich nutzen.
Marktradikalität in der Logistik
Die Logistikbranche ist wie kaum ein anderer Wirtschaftsbereich gekennzeichnet durch Dynamik und Marktradikalität. Immer mehr Betriebe kämpfen darum, sich an die neuen Marktanforderungen anzupassen und sich oberhalb der Profitabilitätsgrenze zu behaupten. Die Hoffnung, eine rückläufige Konjunktur werde zu verstärktem Outsourcing und damit zu einem Boom bei Logistikdienstleistern führen, hat sich nur bedingt erfüllt. Stattdessen drängen Kunden zunehmend auf Preissenkungen. Durch das Internet und die Vision einer sich selbst optimierenden Supply Chain werden die Erwartungen an Dienstleister immer komplexer. Nicht nur Spezialisten werden gesucht, sondern auch Verbindungen zwischen "verwandten" Unternehmen wie z.B. zwischen der Deutschen Telekom und der Deutschen Post mit Danzas.
Auf der einen Seite führt dies zu immer größeren Logistik-Giganten, die sämtliche Transportaktivitäten - Straße, Schiene, Luft und Wasser - integriert abdecken. Der Blick richtet sich dabei nicht nur auf die transnationalen Logistikunternehmen, die weltweit dazu beitragen, arbeitsteilige Wertschöpfungsketten zu optimieren. Analoges gilt auch für regionale Versorgungsketten bis hin zu den einzelnen Haushalten, an die etwa Amazon an einem einzigen Tag 250.000 Exemplare von "Harry Potter" ausliefern lässt. Auf der anderen Seite steht die Entwicklung einer neuen "Selbstständigkeit" von kleinen Einzelunternehmern, deren hohe Abhängigkeit von ihren Auftraggebern in die Grenzbereiche der Scheinselbstständigkeit vorstößt.
Logistikdienstleiter, die in diesem Verdrängungsmarkt nicht angemessen mitspielen, sind sehr rasch aussortiert. Kaum ein Betrieb hat eine Stammplatzgarantie. Weder das kleine Fuhrunternehmen noch die mittlere Spedition und nicht einmal der große Systemintegrator.
Das Fehlen einer derartigen Stammplatzgarantie für Unternehmen am Markt gilt analog für Mitarbeiter im Betrieb: Denn in vielen Fällen sind selbst Umsatzsteigerungen mit Beschäftigungsabbau verbunden. Dies gilt vor allem dann, wenn Rationalisierung die treibende Kraft für den fortschreitenden Wandel darstellt. Zudem ändern sich laufend die Anforderungen an die Mitarbeiter, weshalb es für diese immer schwieriger und gefährlicher wird, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen.
Bei der Situationsanalyse sind allerdings zwei Aspekte wichtig, die leicht übersehen werden: Zum einen führt eine solche Dynamik mit ihren Veränderungen zwangsläufig auch zu neuen Chancen, die genutzt werden können. Es ist also durchaus eine optimistische Denkhaltung möglich, die sich der aktuellen Herausforderung stellt und bewusst ein positives Zukunftsbild schafft. Zum anderen sind die oben beschriebenen Tendenzen Teil einer generellen Entwicklung, die als Grundlogik - mehr oder weniger stark ausgeprägt - seit einigen Jahren das gesamte Wirtschaftsleben dominiert.
Trend: Darwiportunismus
Gegenwärtig lassen sich (branchenspezifisch unterschiedlich, aber generell verbreitet) zwei zusammenhängende Bewegungen beobachten:
Unternehmen sind darwinistisch und Mitarbeiter opportunistisch - wogegen vielleicht auch gar nichts spricht. Was aber passiert, wenn beide Phänomene eskalieren und sich wechselseitig verstärken? Was, wenn sich die Unternehmen dem Darwinismus verschreiben und gleichzeitig die Mitarbeiter offen oder verdeckt den opportunistischen (Aus-)Weg suchen? Das Ergebnis wird deutlich, wenn man beide Phänomene als polare Dimensionen auffasst, was dann zu vier Kombinationen führt. Die Darwiportunismus-Matrix (siehe Abb.) zeigt diese vier Kombinationen aus unterschiedlichen Ausprägungsformen von Darwinismus und Opportunismus:
Für dieses Zusammentreffen aus Darwinismus (als kollektiver Mechanismus zum Optimieren von Unternehmen, Bereichen oder Mitarbeitern) und Opportunismus (als individueller Antrieb, eigene Chancen ohne Rücksicht auf andere zu nutzen) entstand der Ausdruck "Darwiportunismus". Danach bedingen sich Darwinismus und Opportunismus wechselseitig, sind aber aufgrund ihrer Eigendynamik mehr als nur zwei Seiten der gleichen Medaille.
Wo ist die Logistikbranche in der Darwiportunismus-Matrix zu positionieren? Es scheint offenkundig, dass nur in ganz wenigen Fällen noch eine "gute alte Zeit" vorzufinden ist, wo sich Unternehmen in einer stabilen Ruhezone befinden und Mitarbeiter sowie Unternehmensleitung sich überzeugend gegenseitiger Loyalität und ewiger Treue versichern können. Auch der "Kindergarten" dürfte eher die Ausnahme darstellen, da die Mitarbeiter wohl fast nirgends in der Position sind, ihrem Arbeitgeber auf der Nase herumtanzen zu können. Vielmehr ist die Logistikbranche vor allem durch ein hohes Maß an Darwinismus geprägt. Sie ist also überwiegend in der oberen Hälfte der Darwiportunismus-Matrix zu positionieren. Hinzu kommt, je nach spezifischer Beschäftigtengruppe und betrachtetem Unternehmen, ein mehr oder weniger hoher Opportunismus.
Die Logistikbranche findet sich somit in den Szenarien "Feudalismus" und "Darwiportunismus pur" wieder. Beides hat für die Mitarbeiter die gleiche Konsequenz: Sie sind "Spieler ohne Stammplatzgarantie" - mit allen Risiken, aber auch mit allen Chancen!
Dies hat weitreichende Folgen, nicht zuletzt für die Personalarbeit: So wird sich in einer Arbeitswelt ohne Stammplatzgarantie vor allem der Stellenwert der Personalentwicklung ändern. Selbst da, wo Unternehmen gegenwärtig in Qualifizierung investieren: Die Zeit, in der sich die Personalentwickler noch als Weihnachtsmann verstanden, der großzügig Qualifizierungsangebote zu verschenken hatte, ist wohl endgültig vorbei. Allerdings hat die Personalentwicklung heute einen anderen klaren Auftrag: das Unternehmen besser auf die veränderten Umweltbedingungen vorzubereiten, als es die Konkurrenz vermag. Und das beinhaltet unter anderem durchaus auch Qualifizierung.
Personalmanagement in der Logistik
Bei aller Euphorie: Die Logistikbranche mit ihrer weit verbreiteten "Hemdsärmeligkeit", Spontaneität und Improvisationstalent ist nicht unbedingt die Branche, die sich durch herausragendste Personalarbeit einen Namen gemacht hat. Diese Aussage ist auf keinen Fall wertend gemeint, sondern ist vielmehr eine simple Feststellung, für die es gegenwärtig fünf Gründe gibt:
Klassische Personalarbeit - wie in anderen Branchen üblich - ist in der Logistikbranche also eher die Ausnahme. Vor diesem Hintergrund ist diese Branche sicherlich auch kein Feld für beamtenähnliche Karrieren mit Versorgungssicherheit und Regelaufstieg. Vielmehr wird es auch in Zukunft kaum eine Stammplatzgarantie für die Mitarbeiter geben. Somit gilt die Logistikbranche als Vorreiter für die neue darwiportunistische Arbeitswelt. Dies bedeutet aber nicht, dass es hier keine Karrierechancen gibt. Ganz im Gegenteil! Nur fallen diese je nach individuellen Fähigkeiten, Interesse und Leistungsbereitschaft unterschiedlich aus.
Individuelle Entwicklungsstrategie als Erfolgsfaktor
Unterstellt man eine Arbeitswelt ohne Stammplatzgarantie, so bedeutet das unbedingte Eigenverantwortung des einzelnen Mitarbeiters. Egal, was das Unternehmen signalisiert: Der Mitarbeiter ist selbst für seine Weiterentwicklung und für seine Karriere verantwortlich, muss sich also um sein eigenes Entwicklungs- und Karrieremanagement kümmern.
Eine solche Eigenverantwortung ist vor allem deshalb gerade in der Logistikbranche nötig, weil die betriebliche Personalarbeit häufig eher schwach ausgeprägt ist. Gleichzeitig ist diese Aufgabe schwierig, weil in vielen Fällen noch nicht ganz klar feststeht, in welche Richtung sich die Branche entwickelt. Dennoch ist diese Herausforderung von dem einzelnen Mitarbeiter zu bewältigen und auch ganz bewusst anzustreben - gerade weil darin seine ganz persönliche Chance liegt.
Im Hinblick auf eine Zusammenstellung des individuellen Kompetenzportfolios geht es zunächst um die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die aktuellen Qualifikationen heute und auch morgen noch nachgefragt werden. So wie Unternehmen müssen auch Einzelpersonen ihre Kompetenzaktien im Kompetenzportfolio mischen.
Da gibt es Kompetenzen, die gegenwärtig am Markt stark nachgefragt und deshalb voll einsetzbar sind ("Cash-Cows") beziehungsweise eine hohe Ertragskraft haben ("Stars"). Bei den "Fragezeichen-Kompetenzen" ist dagegen die Entwicklung noch nicht abzusehen. Hierbei handelt es sich um Qualifikationen, für die der Verlauf der Nachfragekurve derzeit nicht erkennbar ist. Schließlich gibt es noch eine weitere Klasse von Kompetenzen im individuellen Kompetenzportfolio, die keinen Nutzen haben ("Arme Hunde"). Sie resultieren als zwingende Folge, wenn man zu lange an solchen Kompetenzen festhält, die entweder am Markt nicht mehr nachgefragt werden oder allzu leicht zu substituieren waren.
Optimales Portfolio-Management bedeutet, permanent zu prüfen, ob und inwieweit neue Kompetenzen möglicherweise dem Portfolio zugefügt, bestehende Kompetenzen ausgebaut und schließlich nicht mehr marktfähige Kompetenzen aus dem Portfolio entnommen werden sollten. "Aus dem Portfolio entnommen" bedeutet in diesem Fall, dass der Mitarbeiter sie im Extremfall sogar aus dem Lebenslauf streicht, um ein konzentriertes Kernkompetenzprofil zu dokumentieren.
Diese Aufforderung zur Kompetenzoptimierung richtet sich verstärkt an obere Führungskräfte und High Potentials, sie gilt aber genauso für alle anderen Mitarbeiter: So wird der Sortierer am Band im Paketzentrum auf der einen Seite bestrebt sein, möglichst rasch und fehlerfrei zu arbeiten. Auf der anderen Seite tut aber auch er gut daran, seine eigene berufliche Situation zu reflektieren und gegebenenfalls dem Damoklesschwert drohender "Weg-Rationalisierung" durch frühzeitige Weiterqualifizierung zu entfliehen.
Die persönliche Karrierestrategie bezieht sich aber auch auf eine Querabstimmung zum individuellen Lebensentwurf. Denkt man diesen Gedanken weiter, so führt er zur Optimierung zweier Formen individueller Aktien, nämlich von Karriere-Aktien und Sinn-Aktien:
Bei der Karriere-Aktie steht primär die materielle Komponente im Vordergrund. Hier geht es um Arbeiten, um Geldverdienen, um "Noch-mehr-Arbeiten" und um "Noch-mehr-Geldverdienen". Dabei wird der dynamische Markt genutzt, um heute Geld zu verdienen oder aber, um sich eine optimale Ausgangsposition für morgen zu schaffen.
Die Sinn-Aktie dagegen impliziert Sinnschaffung als individuelle Bedürfnisbefriedigung. Auch wenn Schlagworte wie "Selbstverwirklichung" oder "seinen Sehnsüchten nachgehen" im Kontext des Berufsalltags illusionär wirken mögen, ändert das nichts daran, dass der Mitarbeiter den Sinn des Lebens im Idealfall nicht ausschließlich in seiner Freizeit sucht. Er denkt auch darüber nach, wie er seine berufliche Sphäre entsprechend umstrukturieren kann, um die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit zu entdecken.
In einer Arbeitswelt ohne Stammplatzgarantie liegen Chancen und Risiken eng beieinander. Umso wichtiger ist es, sich mit derartigen Entwicklungsstrategien in eigener Sache zu beschäftigen. Dies gilt analog auch für die anderen Aspekte individueller Karrierestrategien im Darwiportunismus (Lokalisation und Umgang mit anderen Opportunisten, Netzwerkstrategien, Teamstrategien etc.). Auch hier wird vom einzelnen Mitarbeiter ein offensives und professionelles Spiel erwartet, das ihm zwar keine Stammplatzgarantie verschafft, wohl aber eine langfristig gesteigerte Beschäftigungswahrscheinlichkeit auf dem Arbeitsplatz seiner Wahl.
Den Artikel "Keine Stammplatzgarantie" (Logistik Heute 12/2003, S. 36-37) finden Sie in unserem Archiv.
Ergebnis
Das weitgehende Fehlen von Stammplatzgarantien in der Logistikbranche stellt wegen der daraus resultierenden Dynamik eine große Chance dar: Karrierechancen für die Mitarbeiter und Überlebenschancen für die Unternehmen. Diese Chance nutzen zu können, setzt allerdings ein umfassendes Verstehen der zu Grunde liegenden Logik der neuen Arbeitswelt voraus. Karriereplanung bedingt hier ein systematisches, eigenverantwortliches Handeln der Mitarbeiter.
Literatur zum Thema:
Scholz, Christian
Spieler ohne Stammplatzgarantie.
Darwiportunismus in der neuen Arbeitswelt,
Weinheim (Wiley-VCH) 2003.
Das Buch "Spieler ohne Stammplatzgarantie" bei Amazon bestellen
◂ Heft-Navigation ▸
Lagerhallen, Logistikimmobilien , Logistik-Newsletter , KEP-Dienste , Container, Paletten , Intralogistik & Supply Chain Management (SCM) , Verpackung & Verladung , Versand, Umschlag & Lieferung , Luftfrachtverkehr , Gabelstapler , Fahrerlose Transportsysteme (FTS) , Fashion Logistics , Fördertechnik , Lagertechnik , E-Commerce , Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) , LogiMAT , Logistik- bzw. Transport-Dienstleistungen , Industrie 4.0 , Neubau (Logistikzentrum) , Digitalisierung & Vernetzung , Logistik-IT , Logistik-Studium , Transport- und Logistik-Dienstleistungen , Kommissionierung