Transportlogistik: Abenteuer ohne Nebenwirkungen

Der Lastensegler „Avontuur“ soll für nachhaltige Seefracht werben. Im Juli ist er von seiner vierten Atlantikpassage zurückgekehrt.

Der Gaffelschoner Avontuur wurde 1920 gebaut. Bild: Paul Bentzen
Der Gaffelschoner Avontuur wurde 1920 gebaut. Bild: Paul Bentzen
Therese Meitinger
Seefracht

W ir hatten über eine Woche schwere See in der Biskaya und Winde, die uns immer wieder in die verkehrte Richtung trieben“, schildert Cornelius Bockermann, Kapitän des Gaffelschoners „Avontuur“, gegenüber LOGISTIK HEUTE eine kritische Situation, in die er mit seiner Crew im November 2018 geriet. Das Schiff schaffte es so nicht aus der Biskaya über das Kap Finisterre hinaus in den Atlantik. „Knapp unterhalb des Kaps kamen dann Orkanböen dazu, und es war nicht möglich, Höhe zu gewinnen, um um das Kap zu kommen.“ Weil die 16-köpfige Mannschaft erschöpft und teilweise seekrank war, beschloss der Kapitän, zu außergewöhnlichen Mitteln zu greifen: Er warf den Motor an, um die restlichen knapp 100 Seemeilen (rund 185 Kilometer) an der spanischen Küste entlangzufahren und so in den Atlantik zu gelangen.

Diese brenzlige Situation zählt zu den wenigen Ausnahmen, die das Lastsegelschiff „Avontuur“ in den vergangenen neun Monaten mithilfe eines Extraantriebs zurückgelegt hat: Von den rund 17.425 Seemeilen, auf die es der Gaffelschoner auf seiner Atlantikpassage in die Karibik über Mittelamerika und weiter nach Kanada gebracht hat, waren nur 446 Seemeilen unter Motor. Die meisten davon entfielen auf Hafeneinfahrten, bei denen Motoreinsatz Pflicht ist.

Sonst legte die Crew Wert darauf, die 114 Tonnen Kaffee- und Kakaobohnen sowie Spirituosen an Bord CO2-neutral mit Windkraft zu transportieren – und nahm dafür längere Wege in Kauf: „Die direkte Strecke wären rund 4.000 Seemeilen weniger gewesen, nämlich 13.218 Seemeilen“, erklärt Cornelius Bockermann. „Dieses Mehr an Seemeilen ist bedingt durch das Segeln. Immer wieder muss gekreuzt werden, kommen die Winde nicht aus der richtigen Richtung und das Schiff fällt vom Kurs ab.“

Einen Extraaufwand wie diesen akzeptiert, wer ein Zeichen setzen will. Tatsächlich versteht die Betreibergesellschaft Timbercoast aus Elsfleth den 44 Meter langen und 5,87 Meter breiten Lastensegler Avontuur als ein Symbol für mehr Nachhaltigkeit im globalen Seefrachtverkehr. Seit der Einführung der Container in den 1960er-Jahren hat sich der Seefrachtverkehr gewandelt: Laut des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags wurden 2018 mehr als 90 Prozent des Welthandels über Meere abgewickelt. Doch große Containerfrachtschiffe werden mit Schweröl betrieben.

Timbercoast-Gründer Bockermann betrieb früher eine eigene Reederei, die Schwertransporte für die Ölindustrie ausführte und etwa komplette Bohrplattformen transportierte. In 20 Jahren Arbeitsleben bekam der studierte Nautiker und Schiffsmaschinentechniker jedoch keinen guten Eindruck vom eigenen Wirtschaftszweig: „Die konventionelle Schifffahrt ist eine Umweltschweinerei“, sagt der Kapitän in einer Firmenmitteilung. „Eines der weltgrößten Containerschiffe, die ,Emma Maersk‘, bläst etwa 300.000 Tonnen CO2 pro Jahr in die Luft – das ist vergleichbar mit einem mittleren Kohlekraftwerk.“

2013 stieg Cornelius Bockermann aus der konventionellen Schifffahrt aus, 2014 stieß er in Groningen auf das 1920 erstellte, mehrfach in Richtung Motorisierung umgebaute Frachtsegelschiff Avontuur – auf Deutsch „Abenteuer“. Mit 160 Freiwilligen brachte er den Gaffelschoner von November 2014 bis Juli 2016 wieder in seinen ursprünglichen Zustand. Im August 2016 stach das seefrachttaugliche Schiff vom Heimathafen Elsfleth bei Bremen aus erstmals in See: Portugal, Madeira und die Kanaren standen im Logbuch.

Die mittlerweile vierte Passage hat das Schiff Anfang Juli 2019 in Hamburg beendet. Beim großen „Lösch-Event“ hießen mehr als 100 Freiwillige die Crew willkommen. Geladen hatte der Frachtsegler wie bereits auf den Vorgängerfahrten vor allem ökologisch und fair produzierte Waren; drei Fässer Whiskey hatte die Hardenberg Distillery für eine besondere Seereifung mitreisen lassen.

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Die Organisation Teikei Coffee, die rund 20 Tonnen grüne Kaffeebohnen aus Mexiko transportieren ließ, hatte die Reise auch für ein Get-together der nachhaltigen Art genutzt: Beim Stopp im mexikanischen Veracruz hatten zuliefernde Kaffeebauern der „Avontuur“ mit dem Exporteur Ensamples einen Besuch abgestattet. Gelöscht wurden die Waren im Hafenmuseum Hamburg nach demselben Prinzip wie bei der Einladung: rein händisch, nur mithilfe von Lastenzügen und Sackkarren.

Mit den Lastenfahrrädern verschiedener Fahrradkurierfirmen ging es im Anschluss weiter ins Bio-Zolllager von Schwarze & Consort. Auf dem Weg zum Endproduzenten zeigten 22 unterfränkische Waldorfschüler noch einmal echten Muskeleinsatz. Sie kauften nämlich 350 Kilogramm nicaraguanischen Rohkaffee von der Leipziger Genossenschaft Café Chavalo und beförderten ihn mit Lastenfahrrädern ins rund 600 Kilometer entfernte Haßfurt. Ob widrige Winde dabei eine Rolle spielten, ist nicht überliefert.

Therese Meitinger

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Artikel Transportlogistik: Abenteuer ohne Nebenwirkungen
Seite 72 bis 73 | Rubrik NACHGEFRAGT