Logistik-Abkürzungen
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Ob Knickarm, Fahrerloses Transportsystem oder Drohne – dass Roboter sehr unterschiedliche Formen annehmen können, ist nichts Neues mehr. Die Seilroboter, über die LOGISTIK HEUTE in der Mai-Ausgabe 2012 zum ersten Mal berichtete, überraschen trotzdem. Denn die universellen Manipulations- oder auch Großhandlingsysteme lassen als „Seiltänzer im Lager“ – wie der Fachartikel 2012 titelte – Gegenstände gleichsam durch die Luft flitzen. Heute erreichen sie dabei eine Geschwindigkeit von bis zu 36 km/h innerhalb eines definierten Arbeitsraums. Möglich macht all dies das Zusammenspiel von wenigen Grundelementen: Eine bewegliche, auch „Endeffektor“ genannte Plattform, Winden mit Seilen und eine zentrale Steuerung gehören dazu.
„Anstelle von biegesteifen Balkenelementen werden in der Seilrobotik Seile als Tragestrukturen eingesetzt, die bekanntermaßen nur auf Zug belastet werden können. Um einen Endeffektor mit sechs Freiheitsgraden realisieren zu können, sind also mindestens sieben individuell ansteuerbare Seile nötig“, erläutert Johannes Stoll, Leiter der Gruppe Roboterprozesse und Kinematiken am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, das Grundprinzip. An den Seilenden, in der Mitte des Arbeitsraums, befindet sich die Plattform; Winden verkürzen die Seile, sodass sich die Plattform entlang einer programmierten Bahn durch den Raum bewegt. Eine zentrale Steuerung berechnet dazu die Seillängen, die dann direkt in Winkelpositionen der Winden umgerechnet und über die Motorcontroller eingestellt werden.
2012 wie 2020 sollen Seilroboter klassische Industrieroboter nicht ersetzen, sondern Automatisierung in Bereichen ermöglichen, wo dies bisher nicht oder nur über einen hohen Aufwand möglich war. „Der Hauptvorteil von Seilrobotern ist sicher ihr gigantischer translatorischer Arbeitsraum, der die Größe von ganzen Hallen oder Fußballfeldern erreichen kann“, erklärt Stoll. Potenziale für die Logistik sieht er entsprechend vor allem bei Automatisierungsanwendungen in großen Arbeitsräumen. So könnten Seilroboter mit ihrer gekapselten Antriebstechnik etwa Handlingaufgaben in Freiflächen übernehmen. Denkbar sind auch Einsatzszenarien, in denen ein autonomes Kransystem oder ein kranartiger Roboter benötigt werden – Seilroboter sind programmierbar, was ein Pendeln unterbindet.
Weiterer Pluspunkt: Seilroboter sind für Personen mit Robotikkenntnissen leicht rekonfigurierbar und lassen sich mit dem weitgehend gleichen Material in unterschiedlichen Gebäuden installieren. „Ändert sich der Arbeitsraum, braucht es lediglich längere oder kürzere Seile“, so Stoll.
Technologie auf dem Sprung
Als 2012 Dr. Andreas Pott vom Fraunhofer IPA den Demonstrator „IPAnema“ in einem Fachartikel in LOGISTIK HEUTE vorstellte, steckte die Seilrobotik noch in den Kinderschuhen. Seitdem hat sich einiges getan. „Momentan blicken wir auf ein gutes Jahrzehnt der Grundlagenforschung zurück“, resümiert Johannes Stoll 2020. In der Zwischenzeit wurde an der Steuerungstechnik und der Kalibrierung gearbeitet, die Genauigkeit durch verbesserte Algorithmen und optimierte Regler verbessert. Fortschritte hat es zudem bei der Modellierung und Simulation gegeben.
„Ich bin der Ansicht, dass wir uns nun an einem Wendepunkt befinden, an dem der Fokus auf die Applikationsentwicklung und die Realisierung von Pilotanlagen schwenken wird“, führt der Wissenschaftler aus. „Die Grundlagen sind geschaffen, daher wird das kundenspezifische Design, also die Umsetzung konkreter Anwendungen, in Zukunft unsere Tätigkeiten prägen.“
So entstand in der Gruppe Roboterprozesse und Kinematiken zum Beispiel eine Anwendung, bei der ein Seilroboter mit einem fahrerlosen Transportfahrzeug interagiert und dieses belädt. Mittlerweile hat sich auch eine institutionenübergreifende Seilrobotik-Community gebildet, in deren Rahmen das Fraunhofer IPA etwa mit dem Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) an der Universität Stuttgart zusammenarbeitet. Einen virtuellen Treffpunkt für alle Interessierte bildete im Juli das Seilrobotik-Onlineseminar, auf dem Wissenschaftler, Hersteller und Anbieter auf Einladung des Fraunhofer IPA von ihren Erfahrungen berichteten.
Dieses brachte auch für die Veranstalter einige Impulse mit sich: „Ein wiederkehrendes Thema vonseiten der Zuhörenden war die Frage der Sicherheit und Abnahme einer Anwendung mit Seilrobotern“, berichtet Johannes Stoll. Doch mehrere Vorträge – etwa zur in Fußballstadien eingesetzten „Spidercam“ – hätten zeigen können, dass diese Bedenken unberechtigt seien. „Seilroboter können, natürlich mit etwas zusätzlichem Aufwand, entsprechend den geltenden Normen und Vorschriften auch für diesen Einsatz zertifiziert werden“, sagt der Wissenschaftler. Interessant auch: Selbst wenn Seilroboter sich gleichermaßen in der Eventbranche wie in der Landwirtschaft einsetzen lassen, sahen 60 Prozent der Teilnehmer einer Befragung das primäre Anwendungsgebiet woanders – nämlich in der Logistik.
Einfacher für Benutzer
Bis Seilroboter dort wie in anderen Bereichen serienmäßig zum Einsatz kommen, ist wohl noch einiges an Aufbauarbeit nötig. Doch die Community ruht nicht: Eine interessante Entwicklung sieht Forscher Stoll etwa in Anwendungen, bei denen sich der Antrieb weit weg vom Endeffektor befinden kann oder sollte. „So können Seilroboter ermöglichen, Endeffektoren zum Beispiel unter Wasser, in Klimakammern oder in Messbereichen, beispielsweise zur Schallmessung, zu nutzen. Und der Antrieb befindet sich außerhalb der kritischen Arbeitsbereiche“, erläutert er. Weitere technische Trends beziehen sich auf anwendungsspezifische Seilmaterialien, Methoden zur exakten Seillängenmessung oder die aktive Vibrationsunterdrückung für große hängende Seilroboter.
Ein Entwicklungsziel ist hingegen so universell, dass es dem einen oder anderen aus unterschiedlichen Technologiefeldern bekannt vorkommen dürfte: „Nicht zuletzt sollte sich die Technologie auch dahingehend entwickeln, dass sie einfacher für Benutzer ohne Robotikkenntnisse bedienbar wird und sich Prozesse wie das Kalibrieren automatisiert einrichten lassen“, resümiert Johannes Stoll.
Therese Meitinger
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