Expertenbeiträge online
Auf logistik-heute.de veröffentlichen Experten aus dem Wirtschaftskreis LOGISTIK Fachbeiträge zu relevanten Logistikthemen.
Drohnen, die dringend benötigte Medikamente bringen oder mit einer kurzfristigen Ersatzteillieferung die Produktionsbänder vom Stillstand abhalten, sind hierzulande noch selten zu beobachten. Doch das ist nicht überall so: Die USA, China oder Australien seien in Sachen Lieferdrohnen deutlich weiter, sagt Sven Kromer, Managing Director und Retail- und Lieferdrohnen-Experte beim Beratungsunternehmen Accenture.
„Deutschland liegt sowohl bei der Umsetzung als auch bei der Regulierung eher im Mittelfeld“, so Kromer. Das liegt ihm zufolge an einigen spezifischen Herausforderungen in der Bundesrepublik, die verhältnismäßig dicht besiedelt ist, einer relativ geringen Akzeptanz in der Bevölkerung und sehr strengen Regularien, die in zeitintensiven Genehmigungsverfahren umgesetzt werden. „Die Komplexität sollte besser gemanagt werden und Anträge sowie deren Bearbeitung beispielsweise durch Digitalisierung der Prozesse beschleunigt werden“, empfiehlt der Experte. In China, wo Lieferdrohnen in teils sehr dicht besiedelten Gebieten zum Einsatz kommen, seien die Regulierungsbehörden deutlich flexibler und proaktiver. Technologisch sieht Kromer in Deutschland durchaus wettbewerbsfähige Anbieter wie Wingcopter und Quantum Systems, auch wenn die Marktführer aus den USA kämen.
In etablierten Märkten setzen die meisten Anbieter von Drohnen-Lieferservices wie Amazon Prime Air, JD.com oder Alibaba bei der Frage „Make or Buy“ ihm zufolge auf Eigenentwicklungen, wenn auch teils zusammen mit Technologiepartnern. „Unternehmen, die Drohnen inklusive der Infrastruktur besitzen, bieten diese Dienstleistung teilweise auch Dritten als Service an, um die eigene Flotte und Infrastruktur besser auszulasten“, erläutert der Experte. Amazon nutze in den USA zum Beispiel spezielle Drohnenhubs in der Nähe von bestimmten Lagern und offeriere kundenseitig „Pads“, die beim Kunden platziert werden und Drohnen als genaues Ziel dienen.
Bei den gelieferten Produkten sieht Sven Kromer für den deutschen wie internationalen Markt primär vier Bereiche: serviceintensive Lieferungen, etwa im medizinischen Bereich; Lieferungen in sehr abgelegene und schwer zugängliche Regionen wie Helgoland oder das Kleinwalsertal, Lieferungen innerhalb großer Industrie- beziehungsweise Logistikanlagen und Last-Mile-Lieferungen in städtischen, dicht besiedelten Gebieten für hochwertige Güter an Kunden, die eine hohe Zahlungsbereitschaft für eine schnelle Lieferung haben. Nicht interessant sei das Modell hingegen für normale Gebrauchsgüter wie Mode oder Verbrauchsgüter wie Lebensmittel. „Bei Anschaffungskosten zwischen 80.000 und 150.000 Euro und einer Kapazität von meist einem Paket je Lieferung ist das Modell für Massenprodukte nicht skalierbar und bis auf Weiteres zu teuer für den allgemeinen Einsatz“, resümiert Kromer.
„Wir haben Third Element Aviation vor mittlerweile acht Jahren gegründet, weil wir gesehen haben, dass sich im B2B-Bereich mit Blick auf industrielle Anwendungen enorme Potenziale in der Drohnenlogistik auftun“, sagt Marius Schröder, Mitgründer des Bielefelder Drohnenbauers. Schnell habe man bei 3EA – Kurzform von Third Element Aviation – gemerkt, dass man diese Potenziale zusammen mit Kooperationspartnern am besten hebe.
Vom 3D-Druck zum Projekt
Eines der spektakulärsten Projekte ergab sich auf ungewöhnlichem Weg: „3EA hat 2019 spezielle Komponenten für Drohnen im 3D-Druckverfahren bestellt. Das hat mich neugierig gemacht, da ich selbst aus der Luftfahrt komme“, sagt Norman Koerschulte, Geschäftsführer beim Lüdenscheider Produktionsverbindungshändler Koerschulte Group. Er lud die Bielefelder zum Erfahrungsaustausch in Sachen unbemannte Luftfahrt ein – die Geburtsstunde der ersten deutschen Drohnenfluglinie.
„Uns hat interessiert, wie man eine Drohnenlogistik so aufsetzen kann, dass sie wirklich automatisiert funktioniert und nicht eben doch an vielen Stellen betreut werden muss“, schildert Koerschulte. Denn auch sein Unternehmen habe sich mit dem Fachkräftemangel auseinanderzusetzen gehabt. Ein weiterer Vorteil der Drohnenlösung: So lässt sich auch der berüchtigte Lüdenscheider Verkehrsstau vermeiden, der sich aus der Sperrung einer Autobahnbrücke an der A45 ergibt.
Mit dem Wärmetechnikunternehmen Hotset, das ebenfalls in Lüdenscheid ansässig ist, wurde ein erster Testkunde gefunden, die HHLA Sky kam als weiterer, für die Leitstandsteuerung der Drohnen zuständiger Kooperationspartner hinzu. Doch bis 2024 der erste, zunächst testweise „Linienflugbetrieb“ mit der Transportdrohne „AURIOL“ aufgenommen werden konnte, dauerte es: Da die Zuständigkeiten für Lieferdrohnenverkehre 2021 zudem von der Landesflugbehörde auf das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) übergingen, musste der Genehmigungsantrag mehrfach gestellt werden. Das LBA integrierte in sein Verfahren außerdem erweiterte EU-Vorgaben. Die endgültige Genehmigung für den Betrieb einer Drohnenfluglinie erteilte die Behörde erst Anfang 2024.
„Die Drohne musste so gestaltet sein, dass sie möglichst weit, aber auch bei möglichst allen Bedingungen fliegt und etwa 340 Tage im Jahr einsatzfähig ist“, erklärt 3EA-Mitgründer Schröder. Hinzukamen Sicherheitsvorschriften: So musste im Zuge des zweiten Genehmigungsverfahrens beispielsweise ein völlig autarker Datenweg in der Drohne integriert werden, der jederzeit ein Remote-Abschalten erlaubt.
Während 3EA an der Technik der zu genehmigenden Drohne arbeitete, galt es bei Koerschulte die dazugehörigen Prozesse aufzusetzen: „Alle Prozesse, die bei einem Operator angesiedelt sind, mussten beschrieben und mit den Behörden abgestimmt werden. Das bezog sich sowohl auf die Standardprozesse als auch auf die Abweichungen“, erinnert sich Norman Koerschulte. Was passiert zum Beispiel, wenn die Drohne in ein Unwetter gerät? Was ist, wenn der Luftraum gesperrt ist? Die etablierten Prozesse waren dann – neben der EASA-Drohnenpilotenlizenz in der Kategorie STS und der technischen Schulung – die Grundlage für die Schulungen der Operatoren.
In 100 Tagen zur Drohne
Sechs Mitarbeiter hat Koerschulte mittlerweile als Operatoren ausgebildet, die den Flugvorgang auslösen und ihn über den Leitstand nachverfolgen. Sechs Kunden versorgt das Unternehmen aktuell aus Lüdenscheid heraus. Bis Jahresende sollen es 80 werden. Die Version von AURIOL, die aktuell bei Koerschulte im Einsatz ist, kann bei einer Geschwindigkeit von bis zu 65 km/h bis zu 25 Kilometer weit fliegen und transportiert maximal 6,5 Kilogramm. Der Prozess für die bis zu 35 Pakete, die täglich per Drohnenlogistik ausgeliefert werden, ist mittlerweile sehr stark automatisiert: „Wir sehen uns bei der Tourenplanung an, welche Lieferungen besonders kritisch sind und am besten als Drohnenpaket zur Verfügung gestellt werden sollen“, erklärt Koerschulte. Die Drohne wird noch manuell beladen und fliegt den Rest der programmierten Route autonom.
Third Element Aviation hat aus seinen Erfahrungen mit den Genehmigungsbehörden einen Service entwickelt und bietet an, Unternehmen in „100 Tagen zur Drohnenlogistik“ zu bringen. „Drohnen sind eine neue Transportmodalität, die ihre Stärken und Schwächen hat“, zeigt sich Marius Schröder überzeugt. „Aber wer sich mit dem Thema Logistikprozesse beschäftigt, muss sich auch mit dieser Modalität beschäftigen, weil sie gerade auf der letzten Meile und im KEP-Bereich unschlagbare Vorteile hat.“
Therese Meitinger
Zur Bildergalerie: Hier hebt die erste deutsche Drohnen-Fluglinie ab.
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