Logistik-Abkürzungen
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Gut gefüllte Supermarktregale direkt um die Ecke wünschen sich alle – die dafür nötige Lkw-Logistik aber nicht. Werden Pläne für eine neue Filiale bekannt, greift deshalb oft das Sankt-Florian-Prinzip: Aus Angst vor Lärmbelästigung am Abend und in der Nacht kämpfen Bewohner gegen die gute Versorgung, die sie sich eigentlich doch wünschen.
Dabei würden sich gerade die Tagesrand- und Nachtzeiten besonders gut für die Lieferlogistik eignen. Durch Nachtlieferungen könnten Einzelhandelsfilialen den Verkaufsstart reibungsloser gestalten. Die gleichmäßiger verteilte Nutzung der Verkehrswege würde zudem sowohl die Lieferlogistik als auch den übrigen Verkehr entzerren.
Dieser Idee steht das Recht auf Nachtruhe entgegen. Die „TA Lärm“ legt fest, wann und wo welche Immissionsrichtwerte eingehalten werden müssen. Für den Einzelhandel bedeutet das, dass Lieferungen in den Tagesrand- und Nachtzeiten nur dann genehmigt werden, wenn die Schallemissionen der Lieferfahrzeuge und aller übrigen Prozesse bei der Anlieferung diese Richtwerte nicht überschreiten. In urbanen Gebieten liegen diese in der Nacht bei 45 dB(A), in allgemeinen Wohngebieten sogar bei nur 40 dB(A). Diesel-Lkw scheitern an diesen Werten meist schon bei einer gleichmäßigen Vorbeifahrt mit nur 20 km/h.
Geräuscharme Logistik
Kann die fortschreitende Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge hier einen Wandel bewirken? Diese Frage war der Ausgangspunkt eines Forschungsprojekts des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML. Antworten gibt nun das Handbuch „Geräuscharme Logistik“, das im September 2024 veröffentlicht wurde und die Ergebnisse der Studie zusammenfasst (kostenloser Download: https://s.fhg.de/Handbuch-GeraeuscharmeLogistik). Die Untersuchung fußt auf dem früheren Forschungsprojekt „Geräuscharme Nachtlogistik“ (Genalog), das die geringeren Geräuschemissionen von schweren Nutzfahrzeugen mit Elektroantrieb bereits als Schlüssel identifizierte, um Logistik auf Tagesrandzeiten und die Nacht zu verteilen.
Die neue, vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen geförderte Mobilitätsstudie liefert nun weitergehende Einblicke in die emittierten Schallemissionen der Lkw und Möglichkeiten, den urbanen Güterverkehr durch alternative Antriebstechnologien und die Verlagerung von Transporten in weniger belastete Tageszeiten effizienter zu gestalten. Die zentrale Idee besteht darin, Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben für Lieferungen vor sechs Uhr morgens und nach 22 Uhr abends einzusetzen, um den Verkehr am Tag zu entlasten und die Lärmbelastung für Anwohner zu reduzieren. Untersucht wurden neben E-Lkw auch Fahrzeuge mit Gas- und Wasserstoffantrieb. Dabei wurden unter vergleichbaren Messbedingungen exakte Werte der Schallemissionen von Fahrzeugen im städtischen Verteilverkehr aufgezeichnet, um hieraus Immissionen berechnen zu können, wie sie von den Bewohnern der umliegenden Wohngebäude wahrgenommen werden.
„Mit dem Handbuch haben wir nun eine Wissenslücke geschlossen, weil es bislang keine verlässlichen Daten zu den Schallemissionen von elektrisch oder alternativ betriebenen Lkw gab“, sagt Arnd Bernsmann vom Fraunhofer IML im Gespräch mit LOGISTIK HEUTE. Die belastbaren Daten zu den Schallemissionen dieser Fahrzeuge, die das Handbuch bereitstellt, ermöglichen es Kommunen künftig, logistische Genehmigungen für nächtliche Transporte zu erteilen.
Denn die Ergebnisse zeigen, dass E-Lkw im Vergleich zu Dieselfahrzeugen deutlich geringere Geräuschemissionen verursachen, insbesondere bei der beschleunigten Anfahrt, wo eine Reduzierung um 11,1 dB(A) erreicht wird. Das menschliche Gehör nimmt diese Senkung als Halbierung des Lärms wahr.
Für Logistikunternehmen bietet geräuscharme Logistik ebenfalls Vorteile: Eine gleichmäßigere Verteilung der Lieferungen auf den gesamten Tag und die Nacht erhöht die Effizienz, da weniger Fahrzeuge benötigt und Staus vermieden werden. Das kann zu einer besseren Auslastung und einer insgesamt umweltfreundlicheren Logistik führen. Die Projektpartner hoffen, dass das Handbuch eine Grundlage für Logistikunternehmen, Schallgutachter und Genehmigungsbehörden darstellt, um geräuscharme Logistik in die Praxis umzusetzen und damit einen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten.
Dass dazu allerdings mehr gehört als nur der Umstieg auf elektrische Antriebe, erklärt das Handbuch ebenfalls. Für die Umsetzung von geräuscharmer Logistik müssen auch die Be- und Entladeprozesse sowie das verwendete Equipment leiser gestaltet werden. Bernsmann betont im Gespräch, dass das gesamte Logistikkonzept passen müsse. Auch die Ausstattung, wie leisere Rückfahrwarner und Kühlaggregate oder geräuschreduzierte Rollwagen, sei wichtig – und in vielen Fällen ein Warenpuffer, in dem Anlieferungen gelagert werden können, bis das Personal sie verräumt.
Diese Aspekte wird eine zukünftige Studie zur Optimierung von Be- und Entladeprozessen genauer betrachten. Das Land NRW fördert das Fraunhofer IML hierzu bereits in einem weiteren Projekt, um zu untersuchen, wie Mitarbeiter beim Be- und Entladen arbeiten und wo weitere Prozesse noch leiser werden können.
Eine Herausforderung sehen die Projektbeteiligten aktuell noch in den Kosten für die Umrüstung auf E-Lkw. „Die Fahrzeuge sind doppelt bis dreimal so teuer wie Diesel-Lkw“, sagt Arnd Bernsmann. Dem gegenüber stünden aber „viel besser planbare Touren“, die insbesondere in der Nacht 20 bis 40 Prozent Zeit sparten. So könnten Transportunternehmen Anschaffungskosten langfristig ausgleichen.
Zusätzliche Tour
„Wir wollen auf keinen Fall den gesamten Lieferverkehr in die Nacht verlagern“, betont in diesem Kontext Bernsmanns Kollegin Daniela Kirsch. „Die Idee ist vielmehr, dass der E-Lkw insgesamt effizienter eingesetzt werden kann“, so Kirsch weiter, zum Beispiel mit zwei Touren am Tag und einer zusätzlichen Tour in den Abendstunden oder der Nacht. „So können Betreiber die Anzahl von Fahrzeugen insgesamt reduzieren.“
Kirsch und Bernsmann sehen großes Potenzial in der Nachtbelieferung für die Entzerrung der Logistik. Einschränkungen könnten sich höchstens durch Standort und Bebauung ergeben: Bei Supermärkten mit zu naher Wohnbebauung etwa könne die Nachtbelieferung auch unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse des Handbuchs möglicherweise nicht funktionieren.
Deutlich wird, dass die Umsetzung vor allem intelligente Planung voraussetzt, die alle Möglichkeiten berücksichtigt: etwa zwei „Standardtouren“ am Tag und eine geräuscharme in der Nacht. So wäre unterm Strich allen geholfen: den Einzelhändlern und Logistikern ebenso wie den Anwohnern und der Umwelt. mp
Autor: Marius Schaub, freier Journalist, München.
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