Lexikon der Logistik
Das Logistik-Lexikon mit über 1.000 Einträgen erklärt alle logistikrelevanten Begriffe einfach und verständlich.
Andreas Kick ist Chief Operating Officer bei 4flow. Dr. Marc Schleyer verantwortet als Partner bei 4flow die Practice für Supply Chain Planung und Transformation.
Supply-Chain-Verantwortliche sehen sich einer immer größeren Zahl an Herausforderungen gegenüber – seien es Marktverschiebungen, steigende Zölle oder Supply-Chain-Disruptionen durch Umweltereignisse oder politische Spannungen: Die Nachfrage wird volatiler und somit deutlich schwieriger vorherzusagen. Globale Marktveränderungen im Blick zu behalten und die eigenen Supply Chains resilient und agil aufzustellen, um schnell und flexibel auf Veränderungen und Störungen reagieren zu können, ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor.
Ein S&OP-Prozess allein reicht nicht aus
Bei Sales and Operations Planning (S&OP) handelt es sich um einen mittelfristig ausgerichteten, taktischen Planungsprozess, der darauf abzielt, Vertrieb und Betrieb mit den Unternehmenszielen in Einklang zu bringen. Zur Unterstützung dieses Prozesses kommen Planungstools und Analysesoftware zum Einsatz, sogenannte „Advanced Planning Solutions“ (APS). Der S&OP-Prozess umfasst dabei typischerweise einen Zeitraum von mehreren Monaten: oft zwölf Monate, manchmal bis zu 18. Üblicherweise ist ein monatlicher S&OP-Prozess implementiert, das heißt, ein Abgleich von Angebot und Nachfrage und entsprechende Anpassungen erfolgen monatlich für den Planungshorizont.
Die meisten Unternehmen verfügen über einen solchen S&OP-Prozess. Wirkliche Agilität und Resilienz wird dadurch jedoch nur selten erreicht. Hinsichtlich der Art und Weise, wie der S&OP-Prozess gelebt wird, besteht deutliches Verbesserungspotential. Betriebe sind zwar bereits deutlich besser darin geworden, Transparenz entlang der Supply Chain herzustellen, allerdings dauert dieser Prozess immer noch zu lange: Die Erstellung von Analysen benötigt häufig mehrere Tage bis Wochen. Wenn die Analysen schließlich vorliegen, sind die Ergebnisse meist bereits veraltet. Einer der Gründe dafür liegt in der noch unzureichenden Nutzung vorhandener technologischer Tools, die sofortige Analysen der ganzheitlichen Supply Chain ermöglichen. Zudem wird noch vielfach in Silos gedacht, gearbeitet und optimiert. Die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit funktioniert häufig noch nicht schnell und effektiv genug.
Ein weiterer Schwachpunkt in der gängigen Praxis ist, dass Planung und Ausführung des Plans häufig strikt voneinander entkoppelt sind. Nehmen wir an, wir haben einen guten Plan aufgestellt, der die Kundennachfrage, vorhandene Kapazitäten, Lieferantenvereinbarungen und weitere Restriktionen adäquat berücksichtigt. Trotzdem kann in der Ausführung des Plans noch vieles schiefgehen, zum Beispiel stellt ein Lieferant eine deutlich geringere Menge zu: Dann muss schnell umgeplant werden. Welcher Kundenauftrag soll priorisiert werden? Welche Aufträge kann ich vorziehen, die das fehlende Material nicht benötigen?
Gleichzeitig muss ich aber sichergehen, dass die Materialien schon da sind, die ich nun früher benötige. Transporte müssen gegebenenfalls umgeplant werden. Dabei arbeiten die IT-Systeme für Planung und Ausführung wie APS, TMS, WMS und ERP-Systeme häufig entkoppelt: Relevante Informationen können zwischen den Systemen oft gar nicht ausgetauscht werden. Auch besteht noch großes Potenzial in der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen planenden und ausführenden Abteilungen.
Vom Silo-Denken zur ganzheitlichen Planung und Ausführung
Die Integration von Supply-Chain-Planung und Supply-Chain-Ausführung – sprich der ganzeinheitliche Ansatz von Planung und Ausführung – wird in der Fachwelt als Supply Chain Orchestration (SCO) bezeichnet: Dieser betrachtet die gesamte Supply Chain als ein integriertes System. Entscheidend dafür ist sowohl die horizontale als auch vertikale Integration aller Systeme und Prozesse sowie der Organisation selbst; horizontal end-to-end vom Zulieferer bis zum Kunden; vertikal über alle Planungs- und Ausführungshorizonte hinweg, von der langfristigen Planung bis zur kurzfristigen Ausführung.
Ziel ist es, Silos zwischen den verschiedenen Bereichen aufzubrechen, Reibungsverluste zu beseitigen und einen nahtlosen operativen Workflow zu schaffen – von der Planung bis zur Lieferung, inklusive der Feedbackschleife von der Ausführung zurück in die Planung: Es handelt sich dabei um ein umfassendes Optimierungs- und Umgestaltungsprogramm, das hilft, zusätzliche Transparenz zu schaffen, Kosten und Durchlaufzeiten zu reduzieren und Qualität und Kundenzufriedenheit zu steigern.
Dazu kommen Technologien wie KI, IoT und Big Data zum Einsatz, die es ermöglichen Veränderungen und Störungen in Echtzeit zu erkennen. Anpassungen können auf diese Weise sofort und häufig automatisiert vorgenommen werden und Entscheidungen fundiert in Echtzeit getroffen werden.
Die Supply Chain Orchestration (SCO) betrachtet die gesamte Supply Chain als ein integriertes System. Entscheidend dafür ist sowohl die horizontale als auch vertikale Integration aller Systeme und Prozesse sowie der Organisation selbst. (Grafik: 4flow)
Vorteile und Potenziale von Supply Chain Orchestration
Der erfolgreiche Einsatz von Supply Chain Orchestration kann Unternehmen erhebliche Vorteile bieten und stellt eine entscheidende Voraussetzung für mehr Agilität und Resilienz dar. So ermöglicht die Integration von Planung, Ausführung und physischem Materialfluss erhebliche Kostenreduktionen – im Beispiel eines globalen Automobilunternehmens um 13 Prozent.
Weil Echtzeitdaten verfügbar sind, lassen sich darüber hinaus Rückkopplungszeiten innerhalb der Supply Chain von Wochen und Monaten auf Minuten reduzieren. In einem anderen Beispiel konnten die Durchlaufzeiten eines globalen Technologieanbieters durch Supply Chain Orchestration um 40 Prozent verringert werden. Gleichzeitig wurde die Planungseffizienz um 50 Prozent gesteigert und die Agilität in der Priorisierung von Kundenanfragen erhöht.
Mitarbeiter einbeziehen und fördern
Ein S&OP-Prozess stellt hohe Anforderungen an die eigenen Mitarbeiter und erfordert ein großes interdisziplinäres Wissen, das noch viel stärker für eine erfolgreiche Supply Chain Orchestration benötig wird. Verantwortliche sollten ein umfassendes Verständnis von Vertrieb, Distribution, Lagerhaltung, Produktion, Lieferantenmanagement und Einkauf haben. Zudem sollten sie lösungsorientiert arbeiten, gut kommunizieren und über Software- und IT-Kenntnisse verfügen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen der Logistik genügt es dabei nicht, nur Expertise in der operativen Ausführung oder in der Planung zu haben. Es bedarf Personen, die beides vereinen und ein sowohl mittel- als auch kurzfristiges Lösungsdenken mitbringen. Die Mitarbeiter müssen das Denkens in Silos hinter sich lassen und den Umgang mit neuen unbekannten Tools, Prozessen und Zielsystemen erlernen: Es wird ein Multitalent gesucht – eine Kombination aus Kenntnissen, die insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels nur schwer verfügbar ist. Daher ist es für Unternehmen essenziell, in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter zu investieren, so dass diese ganzeinheitlich planen und steuern können.
Hürden erfolgreich überwinden
Als größte Hürden auf dem Weg zur erfolgreichen Supply Chain Orchestration gelten eine hohe, häufig unterschätzte Komplexität der Transformation und ein Mangel an Supply-Chain-Experten. Dies geht aus einer aktuellen Kundenbefragung von 4flow hervor. Um die Komplexität von SCO und die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen, kann die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen, externen Partner (4PL) helfen, um von dessen Best-Practices, Prozess- und Markt-Know-how zu profitieren.
Darüber hinaus können 4PL-Services, die Planung und Steuerung als Service anbieten, als Katalysator fungieren. In diesem Fall übernehmen sie als externe Partei Supply-Chain-Planungs- und Steuerungsfunktionen des Kunden, bringen Best-Practice-Prozesse und wenn gewünscht auch eine IT-Infrastruktur mit, die es erlaubt, schnell einen großen Reifegradschritt Richtung Best Practice Supply Chain Orchestration zu machen. Als externer Partner können sie oft schneller vorangehen, da sie weniger durch die interne Politik im Kundenunternehmen ausgebremst werden, durch „Service Level Agreements“ (SLAs) klare Zielvorgaben haben und viel Transformationserfahrung mitbringen.
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