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Lieferkettenresilienz: Modeerscheinung oder fundamentaler Wandel im Supply Chain Management?

Lieferkettenresilienz hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren zu einem häufig diskutierten Thema entwickelt. Handelt es sich dabei lediglich um eine kurzlebige Modeerscheinung oder zeichnet sich ein grundlegender Wandel im Supply Chain Management ab?

 In der proaktiven, strategischen Komponente liegt die eigentliche Herausforderung der Lieferkettenresilienz, denn sie erfordert es die Entscheidungstreiber im Supply Chain Management grundsätzlich zu überdenken. (Foto: lassedesignen/stock.adobe.com)
In der proaktiven, strategischen Komponente liegt die eigentliche Herausforderung der Lieferkettenresilienz, denn sie erfordert es die Entscheidungstreiber im Supply Chain Management grundsätzlich zu überdenken. (Foto: lassedesignen/stock.adobe.com)
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Matthias Pieringer
Autor(en) dieses Beitrags

Judith Schneider, Partnerin bei PwC Deutschland, und Karsten Spiekermann, Senior Manager bei PwC Deutschland

Expertenbeitrag

Die Zunahme von Disruptionen und Risiken stellt Lieferketten global vor Herausforderungen. Geopolitische, umweltbezogene, wirtschaftliche und technologische Entwicklungen prüfen die Robustheit der Supply Chains. Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten, der Einsturz der Francis Scott Key Bridge in Baltimore, niedrige Wasserstände im Panamakanal, die Attacken der Huthi-Miliz im Roten Meer oder jüngste Unwetter in Dubai zeigen die Dringlichkeit auf, mit der Unternehmen diesen Risiken begegnen müssen.

Aber wie reagieren Unternehmen darauf – ist Lieferkettenresilienz nur ein Begriff für einzelne Task-Forces, der in Management-Etagen in Mode ist, oder sehen wir einen tatsächlichen Wandel im Supply Chain Management?

Unter Lieferkettenresilienz versteht man die Fähigkeit von Unternehmen, möglichst robust auf disruptive Events und Entwicklungen zu reagieren. Resilienz hat zum einen eine reaktive, operative Komponente – wie kann die Lieferkette auf bestimmte Ereignisse reagieren? Zum anderen hat Resilienz eine proaktive, strategische Komponente. In dieser proaktiven Komponente liegt die eigentliche Herausforderung der Lieferkettenresilienz, denn sie erfordert es die Entscheidungstreiber im Supply Chain Management grundsätzlich zu überdenken. Wie kann Lieferkettenresilienz über Entscheidungen im Einkauf, im Produktdesign, in der Produktion, der Planung, der Logistik erhöht werden?

Was die betroffenen Unternehmen sagen

Gemäß unserer globalen PwC-Studie, die wir unter anderem dazu genutzt haben, mehr als 1.000 Unternehmen aus verschiedensten Industrien zum Thema Lieferkettenresilienz zu befragen und die wir im zweiten Quartal 2024 veröffentlichen werden, ist die deutliche Mehrzahl an Unternehmen enorm besorgt über kurzfristige Unterbrechungen der Lieferketten und erwartet, dass diese bis 2030 anhalten werden. Automobilzulieferer, Halbleiterunternehmen und Hersteller von Unterhaltungselektronik scheinen am meisten über die unmittelbaren Auswirkungen der Unterbrechung auf ihre Lieferketten besorgt zu sein. Aber auch die Bauindustrie, die Metallindustrie und die Industrie für schnelldrehende Konsumgüter (FMCG) sehen sich mittelfristig durch Disruptionen unter Druck gesetzt. Generell hat sich Lieferkettenresilienz gemäß einer weiteren Management-Umfrage seit 2021 als Top-Thema festgesetzt und genießt weiterhin eine sehr hohe Priorität.

Eine kleine Zahl an Unternehmen gibt in der globalen PwC-Studie an, ihre Lieferketten bereits mit verschiedenen Maßnahmen umgebaut zu haben. Großunternehmen sind dabei deutlich weiter fortgeschritten als kleine und mittelgroße Unternehmen. Der mit Abstand größte Anteil der Studienteilnehmer hat jedoch angegeben, sich gerade in einer Transformationsphase zu befinden, in der Resilienzprogramme vorbereitet werden oder schon laufen. Wir werfen gemeinsam einen Blick darauf, was dort passiert.

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In vielen Unternehmen laufen Programme, um die Lieferkettenresilienz zu steigern

Typischerweise beginnen die Unternehmen mit einer Standortbestimmung, also einer Analyse, in welchen Bereichen aktuell Risiken vermutet werden und welche Wirkung diese Risiken auf die Unternehmensleistung haben können (zum Beispiel „Sales & Profit at Risk“). Es folgt eine Definition der Hebel, die die identifizierten Risiken bestmöglich adressieren. Dabei muss man eine funktionsübergreifende Sichtweise einnehmen – denn die Ursachen liegen meistens nicht dort, wo die Auswirkungen mangelnder Lieferkettenresilienz sichtbar werden.

Unternehmen adressieren in der Regel eine Mischung aus Resilienzhebeln in den Bereichen Einkauf und Supply Chain. Resilienzhebel im Einkauf sind zum Beispiel:

  • die Entwicklung regionaler Lieferanten,
  • Dual-/Multi-Sourcing für kritische Komponenten,
  • 360°-Lieferantenrisikoprofile,
  • verstärkte Zusammenarbeit mit Lieferanten,
  • Transparenz in puncto tatsächliche Lieferantenkapazitäten.

Im Bereich Supply Chain sind Resilienzhebel zum Beispiel:

  • die Stärkung integrierter Planung,
  • Supply-Chain-Segmentierung,
  • risikoadjustiertes Bestandsmanagement,
  • Diversifizierung von Logistikanbietern,
  • Re-Evaluierung des Netzwerkdesigns.

Oft werden von Unternehmen jedoch Themen rund um Produktdesign und Produktion vernachlässigt, wobei gerade hier Grundlagen für eine resilientere Lieferkette gelegt werden könnten. Das Management von Produktdesign, -architektur und -spezifikationen mit Hinblick auf modulares Design, Komponentenstandardisierung, Rohstoffzusammensetzung, Lieferantenprofile und -performanz, Herkunftsländer muss hier verstärkt auf den Prüfstand gestellt werden.

Lieferkettenresilienz ist ein neuer Entscheidungstreiber im Supply Chain Management

Lieferkettenresilienz benötigt allerdings mehr als die bloße Umsetzung einzelner Maßnahmen. Um nachhaltiges Wachstum, Kosteneffizienz und gleichzeitige Resilienz zu ermöglichen, ist es erforderlich, die Entscheidungstreiber in der Lieferkette neu zu überdenken. Traditionell werden Kosten, Qualität und Zeit beziehungsweise Service Level als Entscheidungstreiber im Supply Chain Management betrachtet. Die Konfiguration einer Lieferkette bezieht Position zu diesen Treibern, die nicht alle gleichzeitig optimiert werden können. Wir sehen seit einiger Zeit, dass neben Nachhaltigkeit und Agilität in Geschäftsmodellen und Produktportfolio auch Resilienz als wesentlicher Entscheidungstreiber betrachtet wird.

Ein möglicher Konflikt wird oft zwischen den Entscheidungstreibern Kosten und Resilienz vermutet – und gerade das Kostenthema rückt mehr und mehr zurück in den Fokus. Dabei sind zwei Dinge festzuhalten: Ziel von Resilienz ist es am Ende auch mittel- und langfristige Kosten zu vermeiden. Dafür müssen aber nicht zwingend kurzfristige Kosten und Redundanzen entstehen. Viele Initiativen für Lieferkettenresilienz ermöglichen es gleichzeitig die Kosteneffizienz zu erhöhen, so dass sich Resilienzhebel etwa mit der Nebenbedingung der Kostenneutralität umsetzen lassen.

Die meisten Resilienzhebel greifen das bewährte Konzept der Supply-Chain-Segmentierung auf. Wenn beispielsweise für kritische Komponenten höhere Lagerreichweiten gelten sollen, geht die Umsetzung dieses Hebels mit einer Analyse der Ist- und Soll-Bestände einher. In diesem Zuge sehen wir oft, dass Unternehmen Bestandseinsparungen bei weniger kritischen Komponenten erzielen können. Andere Hebel rund um Visibilität und Lieferantenintegration bringen typischerweise effizientere Prozesse, präzisere Planung und Automatisierungsmöglichkeiten mit sich. Eine Optimierung des Liefernetzwerks einschließlich Make-or-Buy-Entscheidungen kann das Netzwerk diversifizieren und gleichzeitig Bestands-, Transport- und Lagerkosten reduzieren.

Lieferkettenresilienz und Risikomanagement: Oft fehlt ein ganzheitlicher, strukturierter Ansatz 

Die Relevanz der oben genannten, traditionellen Entscheidungstreiber zeigt sich auch in der klaren organisatorischen Verankerung und den verschiedenen Teams, die grundlegende Methoden, Tools und Analysen dafür vorsehen und entwickeln. Mag es auch im Kontext des Gesamtunternehmens anders aussehen und es oft Teams für unternehmensweites Risikomanagement geben: Resilienz und Risikomanagement mit Fokus auf Lieferketten erfahren derzeit aus organisatorischer Perspektive immer noch eine stiefmütterliche Behandlung.

Dabei können solche Teams eine funktionsübergreifende Abstimmung sicherstellen, Kommunikationskanäle zur Früherkennung von Risiken etablieren und bestimmte Methoden entwickeln. Hier haben sich unserer Erfahrung nach insbesondere das Durchspielen bestimmter Szenarien (beispielsweise geopolitische Entwicklungen) im Lieferkettenkontext und Krisensimulationen sowie das Orchestrieren verschiedener Resilienzmaßnahmen bewährt. Außerdem fehlt vielen Unternehmen eine gemeinsame Perspektive darauf, welche Zukunftsszenarien hinsichtlich geopolitischer, ökonomischer und ökologischer Faktoren oder Zukunftstechnologien eintreten werden. Eine Einschätzung darüber, welche Perspektiven eintreten können, bildet jedoch die Grundlage dafür, geeignete Maßnahmen zu entwickeln und damit die Lieferkettenresilienz zu steigern.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Zwar sind viele Unternehmen im Begriff, einzelne Resilienzmaßnahmen umzusetzen. Aber zu oft wird dabei die strategische, funktionsübergreifende Komponente außer Acht gelassen. Wenn Lieferkettenresilienz als funktionsübergreifender Entscheidungstreiber begriffen wird, können sich Unternehmen nicht nur gegen Disruptionen schützen, sondern eine Chance für Wachstum und Wettbewerbsdifferenzierung wahrnehmen.

Über die Autoren

  • Judith Schneider ist Partnerin bei der Unternehmensberatung von PwC Deutschland. Sie hat eine Vielzahl an Beratungsprojekten im Supply Chain-Bereich als verantwortliche Partnerin durchgeführt, was unter anderem große Transformationsprojekte, Strategieentwicklung, Verbesserung von Planung und Transparenz sowie Lieferkettenresilienz beinhaltet. Bei industrieübergreifender Expertise liegt ihr Schwerpunkt auf der Retail & Consumer-Industrie sowie auf Prozessindustrien.
     
  • Karsten Spiekermann ist Senior Manager bei der Unternehmensberatung von PwC Deutschland. Innerhalb des Supply Chain-Teams ist er unter anderem verantwortlich für die Weiterentwicklung des Leistungsangebotes für Lieferkettenresilienz und Supply-Chain-Strategie. Durch die Projektleitung in großen Transformationsprojekten konnte er insbesondere in Prozessindustrien und industriellen Produkten Expertise aufbauen.

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