Logistik-Abkürzungen
Über 700 insbes. logistikrelevante Abkürzungen finden Sie in unserer kürzlich aktualisierten Abkürzungsdatenbank.
Prof. Dr. Stefan Iskan, Professor für Logistik und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen
Stellenabbau ohne Nachbesetzung trotz Arbeitslast und Abfindungsprogramme mit „Speed Bonus": Herbst und Winter warten mit den üblichen Krisenreflexen in der Industrie auf. Und so geht es wieder los: „Sehr geehrter Logistikdienstleister und Spediteur, sicher haben auch Sie über die Sommerpause hinweg das konjunkturelle Umfeld und die Aussichten für das restliche Jahr mit verfolgt. Auch die Forecasts für 2025 zeigen keine signifikante Volumenbelebung in unserem Geschäft. Sie sind ein langjähriger Supply-Chain-Partner unseres Unternehmens. Das schätzen wir sehr. Und als loyale Partner unserer Firma erwarten wir von Ihnen, dass Sie sich in der jetzigen Krise auf unsere Seite stellen und einen aktiven Beitrag zur Krisenbewältigung leisten (…)“. So oder so ähnlich gehen die Briefe der Industrie an ihre Logistikdienstleister und Spediteure raus. Denn der Herbst und Winter 2024/2025 ist geprägt von den üblichen Krisenreflexen der Industrie.
Und im Einkauf von Transport- und Logistikdienstleistungen formuliert man es ganz besonders elegant. Ein Muster im Übrigen, das wir bereits aus der Finanzkrise 2008/2009 sowie vom Beginn der Coronapandemie kennen, als etwa Einkäufer aus Automotive, Chemie oder auch Weiße Ware von ihren Speditionen und Logistikdienstleistern einen Nachlass von 5 bis 20 Prozent auf ihre Transportpreise einforderten.
Aber was passierte, wenn man gerade erst neue Preise partnerschaftlich vereinbart hatte und entsprechend höflich auf den frisch unterzeichneten Kontrakt verweisen konnte? Dann gab der Logistikeinkäufer aus dem Konzernumfeld einem Logistikdienstleister und Spediteur ebenso partnerschaftlich, aber unmissverständlich zu verstehen, dass die gleiche Ausschreibung auch von einer anderen in Europa sitzenden, zum Konzern gehörenden Legal Entity noch einmal ausgeschrieben werden könne. Und diese übergeordnete Legal Entity sticht dann – natürlich vorab intern juristisch sattelfest geprüft – das Vertragskonstrukt aus, das gerade erst von beiden Seiten partnerschaftlich abgeschlossen wurde.
Brandbriefe: Einkauf in der Strukturkrise
Entsprechend gibt es auch im Einkauf von Transport- und Logistikdienstleistungen gegenwärtig eine Kluft zwischen Top-Management-Ansagen zur internen Krisenbewältigung, Qualitätsbewusstsein in der Supply Chain und Vernunft. Wer sich intern als verantwortlicher Manager und Lead Buyer für Transport- und Logistikdienstleistungen in der Konzern-Industrie kritisch zu Vergabestrategien äußert, dürfte sich nicht selten die Frage vom Management anhören müssen: „Sollen wir Sie noch einmal auf Seminar schicken?“ Dass damit sicher kein Weiterbildungsangebot gemeint ist, dürfte jedem Professional klar sein. Dabei muss es aus Sicht des Top Managements gerade jetzt der Einkauf und damit das Tender Management auf Seiten der Logistikdienstleister wieder richten.
Der Einkauf von Transport- und Kontraktlogistik steht massiv unter Druck. Der López-Effekt – geleitet vom Prinzip des „maximalen Zitrone-Ausquetschen“ führt gegenwärtig in Anbetracht fehlender Mengen und damit verbundener Kalkulationsverzerrungen einmal wieder zum Lieferboykott von Zulieferern über die reine Automobilindustrie hinaus.
Mit Blick auf die Spediteure und Logistikdienstleister: Sind sich so manche Speditionen ihrer systemrelevanten Netzwerkstellung bei ihren Kunden bewusst? Wohlwissend, dass „systemrelevant“ in Bestands- und Neugeschäftsverhandlungen in der Rezession auch „erpressbar“ bedeuten kann? Vor lauter Task-Force-Modus im Tagesgeschäft seit 2020 wird das strategische Gesamtbild oftmals übersehen. Und so verwundert es nicht, dass selbst leistungsstarke Logistikdienstleister gegen sich selbst im Tender bieten, ohne dass der vom Einkäufer genannte Wettbewerber auf so manchen Transportrelationen überhaupt (noch) existiert.
Herbst-Rallye mit eingeschränkten Kapazitäten
Die aktuelle Herbst-Winter-Rallye läuft ohne Volumen. Und doch wartet der Markt wieder mit einer Verknappung von Kapazitäten im Road Freight Business und damit mit einem Widerspruch auf. Die Lage lässt sich jedoch einordnen: Die taktischen Maßnahmen, die Spediteure und ihre Subunternehmer mit eigenem Fuhrpark seit Beginn des Jahres initiiert haben, scheinen allmählich im Markt zu greifen. Allen voran zu nennen sind die bewusste Verknappung von Laderaum durch gezieltes Abstellen der Flotte und das Ausdünnen des eigenen Subunternehmer-Netzwerkes um einen höheren Auslastungsgrad im eigenen Flottenbestand zu erzielen. Problematisch: Wer vor der Sommerpause noch Langfrist-Verträge mit Verladern zu niedrigen Frachtraten geschlossen hat, um Volumen zu sichern, bekommt jetzt von seinen Subunternehmern mit angezogenen Frachtraten die Quittung präsentiert. Die Folge: Es zerschießt die Profitabilität beim Spediteur auf der Ebene der Niederlassungen. Die Gefahr von Firmenschieflagen in der Supply Chain steigt.
So werden auch die Nutzfahrzeug-Bestellungen bei einigen Marktplayern bereits seit etwa Herbst 2023 zurückgenommen und längere Werkstatt-Aufenthalte in Anbetracht der gegenwärtigen Gesamtlage regelrecht in Kauf genommen. Hinzu kommt: Die DACH-Region wird nicht mehr als „Center of Gravity“ in Transport und Logistik eingestuft. Dies hat sich in Richtung Osteuropa verschoben. Entsprechend sortiert sich auch die Subunternehmer-Landschaft neu und zieht Flottenkapazitäten aus dem vormaligen „Center of Gravity“ ab.
„Rohrkrepierer“ im Markt
Aber auch die „Rohrkrepierer“ sind wieder im Markt unterwegs: Ahnungslose Berater, die beispielsweise noch ahnungslosere Einkäufer gerade bei den OEMs in der Automobilindustrie wild gemacht haben. Fast panikartig wurde 2024 ein Logistikdienstleister nach dem anderen in Workshop-Termine einbestellt. Und das nur, weil fachfremde Berater durch den Markt laufen und über Whitepaper den Einkäufern für Transportnetzwerke vermeintliche Savings in Millionenhöhe in Aussicht stellen. Und zwar dann, wenn man im so genannten Teiledienst-Geschäft, die Versorgung der Autohändler beziehungsweise Werkstätten mit Ersatzteilen, von Dedicated-Transportabwicklung auf das Standard-KEP/Stückgutnetz umstellt. So zumindest die Annahme auf Papier.
Traurig, aber wahr: Der von zunehmend unqualifizierter Job Rotation geprägte Einkauf springt darauf an. Um dann nach wenigen Gesprächen, seinen „Rohrkrepierer“ wieder einzustampfen. OEM-übergreifend versteht sich. Kennen die Einkäufer inzwischen nicht einmal mehr ihre eigenen Lastenhefte? Ein Blick sollte genügen, um zu erkennen: Die Erstanlieferung ist vor sechs oder sieben Uhr morgens gefordert. Hinzu kommen untertägig Mehrfachbelieferungen. Die Folge ist: Die ohnehin kritischen Ressourcen im Tender Management und im Einkauf werden auf beiden Seiten unnötig verschlissen. Vielmehr noch: Verlader, die heute „auf die Schnelle einmal“ einen Tender im Markt platzieren wollen, benötigen in der Regel sechs Monate und mehr, bis sie einigermaßen ihre Ausschreibungspakete zusammengetragen haben. Von der Stammdatenqualität im Tender einmal ganz abgesehen – KI und sonstige Hype-Versprechen hin oder her.
End-2-End im Tender
In Anbetracht der M&A-Tendenzen mit TMS-Legacy-Systemen im Markt stellt sich zudem die Frage zum Leistungsversprechen „Integrated Logistics“: Wie realistisch ist „End-2-End“ in internationalen Supply Chain RFQs? Wie hoch ist der „Integrated“-Anteil von Geschäftsumfängen bei Logistikdienstleistern mit einem solchen Slogan wirklich? In der Realität setzen sich „Integrated“ und „End-2-End“ im Tender zumeist aus der bloßen Teiladdition von Business-Unit-Einzellösungen zusammen – also im Wesentlichen Road Freight, Air & Ocean Freight sowie stationärer Kontraktlogistik. Logistikdienstleister katapultieren sich in der Folge mit „Integrated“ aufgrund der zu hoch eingepreisten Rendite-Vorgaben aus sämtlichen Management-Verantwortungsbereichen aus dem Rennen. Mit dem Ergebnis: Ihre Kunden aus Industrie und Handel greifen zu ihrem bewährten Cherry-Picking- Ansatz mit vielen Spediteuren und Logistikdienstleistern in der Kette. Es sei denn, das Top Management eines Logistikkonzerns beschließt einmal wieder, sich das „Integrated“-Geschäft „zu kaufen“.
Wiederaufleben der „Wild West“-Methoden im Einkauf
Der Einkauf von Transport, Logistik und Supply Chain Services steht gegenwärtig einmal mehr massiv unter Druck. Die Kostenschrauben werden angezogen. Die Insolvenzen in der Supply Chain steigen. Einmal mehr muss es das Procurement aus Sicht des Topmanagements richten. Entsprechend hoch ist die Tender-Frequenz mit zunehmend frustrierten Lieferanten und Logistikdienstleistern. Hinzu kommt die geostrategische Standortfrage Deutschland / EU und die Inflationierung der Kostenstrukturen. Hatte sich das Verhältnis zwischen Einkauf und Logistikdienstleistern im vergangenen Jahr wieder etwas normalisiert, brennt jetzt die EBIT-Hütte. Wir erleben das Revival der „Wild West“-Methoden im Transport- und Logistik-Einkauf.
Fakt ist: Ein neues Partner-Ökosystem und eine Abkehr vom „Excel-Gefrickel“ im Tender Management sind erforderlich. Dabei darf eines nicht übersehen werden: Vor lauter Brandherd-Löschen und Task Force-Modus ist die strategische Ausrichtung im Einkauf von Supply Chain Services in den vergangenen vier Jahren geradezu auf der Strecke geblieben. Das Tagesgeschäft mit überspannten Einkäufern hat vielerorts seine Spuren hinterlassen.
Über den Autor
Prof. Dr. Stefan Iskan hält die Professur für Logistik und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Der vormalige Konzernstratege und Direct Report an den Vorstand Land Transport DB Schenker ist seit 2013 persönlicher Berater internationaler Logistikkonzerne, inhabergeführter Logistikdienstleister sowie von Tier-1 Suppliern und OEMs. Prof. Dr. Stefan Iskan ist zudem Organisator der internationalen supplychainmachine.com Tender Management Konferenz-Serie.
Tender Management Konferenz 2025
LOGISTIK HEUTE als Medienpartner blickt zusammen mit Prof. Dr. Stefan Iskan hinter die Ausschreibungskulissen. Am 27. Januar 2025 findet in der MHP Arena Stuttgart die 6. Tender Management Konferenz statt. Mit mehr als 30 Speakern geht es darum, über folgende Brennpunktfragen zu diskutieren:
Mit einer Ausstellung zu Supply-Chain- und Tender-Software.
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